Als ihren Spitzenkandidaten schickt die CSU den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann ins Bundestagsrennen. Der „Sheriff“ gibt gerne den obersten Polizeichef. Er kann poltern, er hat aber auch andere Seiten.

München - Es ist neun Uhr abends. Nach zwei Stunden neigt sich die brave Wahlveranstaltung dem Ende zu, da steht ein Offizieller auf. Schwarzes T-Shirt, Schriftzug: „Team Herrmann“, darüber das Konterfei des Ministers in härtestmöglichem Schwarz-Weiß-Kontrast. Einen schwarzen Westernhut mit Sheriff-Plakette trägt der Mann auch noch, wie so manche im Saal. Das muss sein. Das ist die Kostümierung, in welcher die CSU ihren Spitzenkandidaten Joachim Herrmann einrahmt und zugleich stilisiert: Schwarzer Sheriff, knallhart und gnadenlos. „Mister Sicherheit“ eben. Da kann’s nur einen geben.

 

Als der Offizielle aufsteht – von der Jungen Union kommt er –, denkt man jedenfalls, er stellt jetzt genau die Fragen, die der Regie des Abends bisher gefehlt haben müssen. Dann aber erzählt er von der Tour durch die jordanische Wüste, von der er soeben zurückgekehrt ist, davon dass „jeder Beduine dort ein iPhone hat“, dass er selbst dort, „wo gar nix mehr los ist“, einen Zugang zum schnellen Internet gefunden hat – während er jetzt, wieder dahoam in der Gegend von München, sein Handy „grad noch zum Telefonier‘n“ verwenden konnte. Mobiles Internet mitten in Oberbayern, schnelles auch noch? Fehlanzeige, sagt der Mann.

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Klar, dass Herrmann auf diese Kritik hin verspricht: Wir müssen, wir brauchen, wir werden. Das würde jeder Wahlkämpfer so tun. Weit interessanter ist da schon, was bei dieser Gelegenheit erst auffällt: dass von den 180 Leuten, die zu Herrmanns Gesprächsabend im Marienwallfahrtsort Altötting gekommen sind – der Saal ist gerade mal halb voll –, keiner eine Frage zur inneren Sicherheit gestellt hat. Nicht mal der Offizielle hat angesprochen, was die CSU als ihre „Identität“, als ihren „Markenkern“ darstellt, den sie im bayerischen Innen-Sheriff-Minister verkörpert sieht. Interessiert das die Menschen vielleicht gar nicht? Oder sahen sie alles erschöpfend genug beantwortet in Herrmanns Slogan: „Sicherheit ist ein Grundrecht“?

Applaus an irritierender Stelle

Ähnlich verstörend war’s ein paar Tage zuvor schon in Fürstenfeldbruck. Herrmann, der eine harte Hand gegenüber Flüchtlingen vertritt, der es unterstützt, wenn die Polizei – wie in Nürnberg – einen jungen Afghanen mitten aus dem Schulunterricht zur Abschiebung zerrt, dem hatte das Publikum genau dann heftig applaudiert, als er den Helfern dankte für das, was sie während des großen Flüchtlingsansturms geleistet hätten.

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Dann redete Herrmann weiter, versprach im Jargon der Parteilinie, dass „2015 sich nicht wiederholen“ werde. Kein Applaus. „Wir stehen dafür, dass ein starker Staat weiß, wer ins Land kommt.“ Kein Applaus. „Versuchen Sie mal, nach der Landung auf dem New Yorker Flughafen zu sagen, Sie hätten Ihren Pass verloren. Werden Sie dann durchgewunken, nach dem Motto: egal, passt schon?“ Kein Applaus.

Die 200 CSU-Fans im Saal klatschen erst, als Herrmann die bayerischen Grenzkontrollen weiterhin als unerlässlich bezeichnet, „so lange die Außengrenzen der EU nicht wirksam gesichert sind“: „Was glauben Sie, was da alles an polizeilich Gesuchten festgenommen wird! 1300 allein im ersten Halbjahr! Drogendealer zum Beispiel! Auch deutsche!“

Altötting, Fürstenfeldbruck, davor ein Bierzelt in Augsburg, dazwischen ein Auftritt in Erding und eine Jubelschifffahrt zum 25-Jahr-Jubiläum des Rhein-Main-Donau-Kanals; vergangenen Sonntag auch noch eine Gedenkmesse auf der Zugspitze für im Dienst verunglückte Polizisten, all das in einer Woche – Joachim Herrmann (61) ist pausenlos auf Achse. Aber nicht erst seit er Wahlkampf in CSU- und in eigener Sache treibt.

Balu, der Bär

Es gibt in Bayern wohl keinen Kreisverkehr, keine Ortsumgehung, keine Bahnunterführung, die nicht von Herrmann persönlich eröffnet würde. Er radelt, er setzt sich aufs Motorrad, wie es der Anlass eben erfordert. Auf Feuerwehr- und Gautrachtenfesten lässt sich Herrmann sehen – bevorzugt in seiner fränkischen Heimat –, und bei der Zahl seiner veröffentlichten Gottesdienst- und Konzertbesuche könnte man annehmen, der Mann wäre nicht nur Innen-, Verkehrs-, Bau- und Sport-, sondern auch noch Kultusminister. Nur von Finanzminister Markus Söder (50) ist eine ähnlich hohe Dichte von wohltaten-spendenden und leutseligen Basiskontakten überliefert. Ob es da eine Rivalität gibt? Nächste Frage, bitte. . .

Mitte Oktober werden es zehn Jahre, dass Herrmann bayerischer Innenminister ist. 2011 wollte Parteichef Horst Seehofer den massigen Mann, den sie daheim „Balu“ nennen nach dem Bären im „Dschungelbuch“, schon einmal nach Berlin entsenden, doch Herrmann lehnte ab. Heute sind die drei Kinder aus dem Haus; das Familienargument zählte nicht mehr, weder als Grund noch als Ausrede. Auch, sagte Herrmann einmal, habe er erst mit der Zeit genügend Erfahrung für die bundespolitische Bühne gesammelt. Wobei er in die künftige Rolle erst schwer findet. Bei der einen Wahlveranstaltung ruft er ins Volk, er sei „bereit, in Berlin Verantwortung zu übernehmen“; bei der anderen lächelt er „alle Personalspekulationen“ offensiv weg: „Zuerst treibe ich Wahlkampf, 24 Stunden am Tag. Dann kommt die Frage, wie können wir bayerische Positionen durchsetzen, und erst viel, viel später das Personal.“

Berlin – ein Wunschziel?

Manche Beobachter glauben feststellen zu können, dass es dem grundsoliden Herrmann fast peinlich ist, von Seehofer für das Bundesinnenministerium nominiert worden zu sein und damit gegen den von ihm eigentlich geschätzten CDU-Amtsinhaber Thomas de Maizière antreten zu sollen. In Fürstenfeldbruck jedenfalls dankte Herrmann überschwänglich seiner ausscheidenden Parteikollegin Gerda Hasselfeldt, die – mal als Bundesministerin, mal als CSU-Landesgruppenchefin – „alle Aufgaben immer perfekt erledigt“ habe, auch solche, die sie nicht mochte, aber „auf die die Partei sie geschickt hat. Alles hat sie im Interesse der Partei getan“.

Dem öffentlichen Auftreten nach scheint es zwei Herrmanns zu geben. Als der eine zusammen mit Seehofer vor sieben Wochen im Münchner Olympiapark das CSU-Wahlprogramm vorstellte, da brüllte er regelrecht ins Publikum – entweder weil er glaubte, das gehöre sich so bei Massenveranstaltungen oder überhaupt, weil er nie so recht weiß, wie er seinen kräftigen Bass dosieren soll. Dieser Herrmann klingt wie ein Einpeitscher, wie ein beinharter Ideologe. Immerhin überschlägt sich seine Stimme nicht mehr; auch das gab es schon, er scheint aber an sich gearbeitet zu haben.

In Altötting hingegen erlebten die CSU-Fans einen ganz anderen, einen Talkshow-Herrmann, der ganz ohne Poltern, im lockeren Gespräch, seine Positionen vertrat. So kennen ihn auch die Kollegen und die Oppositionellen in der bayerischen Landespolitik: hart in der Sache, aber kein Hetzer, kein Scharfmacher, kein Schaum vor dem Mund. Und was in Altötting auch noch auffiel: Da ging ein Spitzenpolitiker nach bemerkenswert knapper Anfangsrede tatsächlich auf die sehr unterschiedlichen Fragen aus dem Publikum ein, ohne sie mit vorgestanzten Wahlkampffloskeln zu bescheiden.

Der Polizeichef

Im kleinen Format, wo es Herrmann rhetorisch sogar gelingt, die eine oder andere Pointe zu setzen, da streift er auch das Bild ab, das ihm öffentlich anhaftet. Manche sehen in ihm ja eher einen Polizeichef als einen Politiker. Dieses Bild pflegt er selber gerne durch immer wieder betonte und selbst in Zweifelsfällen – wie der Abholung des afghanischen Schülers in Nürnberg oder den G-20-Einsätzen in Hamburg – unverbrüchliche Nähe zu den Ordnungskräften. Auch dieser politische Rückhalt macht’s, sagt Herrmann, dass „Bayern sicherer dasteht als die anderen Bundesländer: mit weniger Kriminalität und höherer Aufklärungsquote“. Herrmann zeigt den Polizisten gerne, dass er sich als Chef nicht nur für sie verantwortlich, sondern sich gewissermaßen als einer von ihnen fühlt. Wenn er Ausbildungsstätten besucht, geht er durchaus auch auf den Schießstand, um zu testen, was er – Oberstleutnant der Reserve – noch kann. In Herrmanns Ministerzeit ist die Zahl der Polizisten in Bayern nicht nur auf den historisch höchsten Stand gewachsen; sie wird weiter zunehmen.

Schade um den Sparring-Partner

Für Wahlkampfzwecke ist’s jetzt nur schlecht, dass ihm der bedeutendste Sparring-Partner abhanden gekommen ist. Zum eigenen Vorteil vergleicht Herrmann ja gerne die Sicherheitslage in Bayern mit jener in Nordrhein-Westfalen. Seit dem Landeswahlsieg der Union im Mai gibt es diesen – sozusagen – Idealtyp einer rot-grünen Misswirtschaft nicht mehr, und wären die Randale in Hamburg nicht gekommen, hätte Herrmann schier gar kein Sicherheitsrisiko mehr, das er den Linken in die Schuhe schieben könnte. Auf jeden Fall: In Berlin müssten bayerische Verhältnisse einziehen. Da sind sich Herrmann und Seehofer einig.

Wobei Bayerns Sicherheitschef durchaus vorsichtiger sein kann, als es irgendwelche martialischen Äußerungen vermuten lassen. Bei seinem Wahlkampfauftritt in Fürstenfeldbruck sagt Herrmann, Bayern habe 2015 den G-7-Gipfel von Elmau ohne Zwischenfälle über die Bühne gebracht, und „so etwas“ wie in Hamburg beim G-20-Gipfel, „wäre in Bayern nicht passiert“. Dann aber setzt er nach: „Auch dafür kann ich keine hundertprozentige Garantie abgeben.“

Sheriff – nur eine Selbstironie?

Für die Nürnberger Fastnacht dieses Jahr hat sich Herrmann – ohne Witz! – als Sheriff verkleidet. Das fand die dortige „Luftflotte des Prinzen Karneval“ dermaßen „authentisch“, dass sie ihm den Hausorden „Wider die Neidhammel“ verlieh. Wie sehr der Geehrte sich als Sheriff sieht oder wie sehr er sich mit dieser „Verkleidung“ selbst auf die Schippe nehmen wollte, steht dahin. Jedenfalls hat sich Herrmann allein beim Thema Sicherheit greifbar profiliert. Darüber hinaus ist wenig Markantes von ihm zu hören; kaum etwas, das Persönlichkeit oder politische Gestaltung verriete.

Loyal ist Herrmann, das ja. Aus dem innerbayerischen Gerangel um die Nachfolge Seehofers als Ministerpräsident und/oder Parteichef hat er sich immer vollständig herausgehalten. Kein Sterbenswörtchen über eigene Absichten. Seehofer rechnet ihm das hoch an: Niemals, so lobte er, habe er von Seiten Herrmanns auch nur „einen Anflug von Unzuverlässigkeit oder Intrige“ erlebt.

Aber Achtung: Herrmann hat auch nie, selbst in den Zeiten, in denen Seehofer durch Angela Merkels Grenzöffnung eine „Herrschafts des Unrechts“ in Deutschland einziehen sah, öffentlich ein kritisches Wort über die Kanzlerin verloren. Das könnte durchaus zu einem Problem für Seehofer werden. Dann nämlich, wenn Herrmann tatsächlich als Minister in die künftige Bundesregierung einzieht, und – im fernen Berlin – Merkel seine direkte Chefin wird. Seehofer erhofft sich vom „Alphatier“ Herrmann vor allem in Hinblick auf die weißblaue Landtagswahl 2018 im Bund eine „wirkungsvolle Durchsetzung bayerischer Interessen.“ In Berlin hätte Herrmann auch andere zu vertreten. Zwangsläufig.