Mehr als ein Konzert: Joan Baez besichtigt bei ihrem Auftritt im Innenhof des Ludwigsburger Schlosses engagiert ihr Leben als singende Frau, ohne jemals kauzig, komisch oder routiniert nostalgisch zu werden.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Ludwigsburg - „Wiedersehen ist als Wort zu gut“ heißt es am Ende von „Don’t Think Twice It’s All Right“, und deswegen sagt der Mann, der da gerade von der Frau weg hinüber auf die „dunkle Straßenseite geht“ , „fare thee well“ – „Leb wohl“, obwohl er vielleicht bleiben würde, wenn ihr jetzt noch etwas einfiele, was ihm partout nicht einfällt. Seltsames, altmodisches, schönes Wort – auf Englisch wie auf Deutsch: Leb wohl!

 

„Fare Thee Well“-Tour heißt, „Don‘t Think Twice…“ zitierend, eine mutmaßlich letzte Auftrittsserie, die Joan Baez mit stolzen 77 Jahren noch einmal durch große Teile Europas und die USA führen wird, und damit keine Missverständnisse aufkommen, dass es im Folgenden weniger um Nostalgie, sondern auch um ein selbstkritisches Resümee der eigenen Laufbahn gehen wird, beginnt ihr Konzert im ausverkauften Innenhof des Ludwigsburger Schlosses mit der Rekapitulation einer Beziehung, die im Leben keinen Bestand hatte: Baez und Bob Dylan sind nicht lange ein Paar geblieben, genauso wenig wie Baez und Steve Jobs. Eines aber hat öffentlich gehalten, nämlich dieses einerseits teils verächtliche („you just kinda wasted my precious time“), andererseits ungemein seelenvolle Lied, in dem Baez natürlich die ursprüngliche Rollenverteilung umschreibt: Sie ist die Frau, die sich aus dem Staub macht, und sie verlässt den Mann, weil er ein Kind ist und bleiben will, mit einigem Stolz, wie man hört: „Denk nicht nach, es ist schon gut.“ Was Baez an den Anfang des zweistündigen Programms setzt, eben „Don’t Think Twice“, spielt Dylan, gerade in Asien unterwegs, jeden Abend ungefähr in der Mitte seines Sets. Wenn er damit fertig ist, fängt sie wieder an. Eine eigentümliche Parallele.

Songs als Verbindungslinien

Im Übrigen bleibt es nicht bei einem Dylan-Song, denn es folgen in kurzen Abständen noch härtere Abschiede, nämlich „Farewell Angelina“ und „It’s All Over Now, Baby Blue“, beides kurz geschlossen durch Baez’ wunderbare Version von „Diamonds And Rust“, also ihrer Farewell-Version (inklusive der Zeile „I’ve already paid“) vom gleichnamigen Album von 1975. Und während der Abendhimmel über Ludwigsburg halb in Flammen steht, ergeben sich wie von selbst verschiedene Verbindungslinien. Der ganze Verlauf des Konzerts wirkt wie eine Partitur für Musik, die von selbst entsteht. „Farewell Angelina“ mit seiner Schloss- und Piraten-Metaphorik führt Baez ihrerseits zu einem Lied des letzten Albums „Whistle Down The Wind“. Passend zur Umgebung erzählt „Silver Dagger“, eine sehr britisch wirkende Moritat, die Geschichte einer widerständigen Magd, die sich den übergriffigen Lord mit den Goldschuhen vom Hals schafft, indem sie ihn ersticht. Schwarze Geschichte, aber die genussvoll zu berichten müsse auch einer „Anwältin der Gewaltlosigkeit“ (Baez) gestattet sein. Sagt Baez. Und lacht.

Vergleicht man die Präsentation der eigenen Person und Kunstfigur mit Pop- und Folkgenerationsgenossen, die allesamt kürzlich zu Gast waren im Land, also mit den nach Eigenaussage immer noch tendenziell nicht satt zu bekommenden Rolling Stones und dem niemals enden wollenden ewigen Dylan, schneidet Joan Baez nicht nur in Sachen Authentizität hervorragend ab. Noch nie eine Gitarristin von Graden, wohl aber von Gefühl, bevorzugt sie ein sehr sanftes Picking – und hat entsprechend gestimmte Sidemen: ihren Sohn, den Perkussionisten Gabriel Harris, und den Multiinstrumentalisten Dirk Powell (an Bass, Banjo, Mandoline, Geige und Flügel). Sie bestechen in den variantenreichen Arrangements mehr durch das, was sie andeuten, als durch das, was sie vollends aussprechen. Und dann gibt es noch Grace Stumberg, eine junge Vokalistin aus Buffalo, NY, seit mehreren Jahren an Baez‘ Tourneen beteiligt. Ganz Kollegin überlässt Baez Stumberg unter anderem große Teile von Kris Kristoffersons „Me And Bobby McGee“, und Stumberg ist zu klug, um mit ihrer Riesenstimme Baez zu degradieren oder Janis Joplin zu imitieren.

Ein solider Alt

Dass sie, um das Mindeste zu sagen, neugierig und aufgeschlossen geblieben ist, zeichnet Joan Baez aus, deren fast weggefallene Höhe beim Singen auf einem soliden Alt-Fundament ruht: Ein bisschen kratzig klingt das mitunter, manchmal gebrochen, engagiert und entspannt zugleich. Auf diese Weise geht sie ein paar höchst unterschiedliche Coverversionen an, darunter „Another World“ von Antony & The Johnsons, Weltabsage auf melancholischste Art (und wieder ein verwobener Bezug: „I must go, where it’s quiet“ heißt die Schlusszeile von „Farewell Angelina“), aber auch „The President Sang Amazig Grace“ von der jungen Zoe Mulford, die Baez’ Urenkelin sein könnte. Das Stück handelt von Barack Obama, der nach dem Massaker in Charleston bei der Gedenkfeier 2015 so lange keine Worte fand, bis er, zur Selbstversicherung, „Amazing Grace“ anstimmte.

Historizität herzustellen ist für Baez nie nur eine Übung in Nostalgie: „Deportee (Plane Wreck at Los Gatos)“ von Woody Guthrie aus dem Jahr 1948 über die lange namenlosen Mexikaner, die bei einem Absturz umkamen, als man sie nach getaner Drecksarbeit in den Staaten im Flugzeug außer Landes schaffte, ist eine Geschichte von heute, wie auch „Der Mond ist aufgegangen“ eine unvergängliche Warnung bereithält. Baez singt das Volkslied nach Matthias Claudius und Johann Abraham Peter Schulz, wie es sich wahrscheinlich wirklich gehört – unsentimental und selbst in der fremden Sprache andeutend, wo hier der springende Punkt ist: Der Mensch glaubt nur, was er sieht. Für Baez ist da aber, außer „Luftgespinsten“, noch etwas anderes. Auch wenn sie bei Claudius das abschließende Gebet und den „kranken Nachbarn“ auslässt. Einen Orientierungspunkt hat sie bereits zu Anfang benannt: „God is God (But God ain’t us)“.

Dass sie Lieder zugibt, für die 4500 Besucher – oft in der Mutter-Tochter-Variante unterwegs – häufig weite Wege auf sich genommen haben, versteht sich. Baez’ Höflichkeit besteht darin, den Gassenhauern von „The Boxer“ bis „Sag mir, wo die Blumen sind“ und „Donna Donna“ noch eine Inspiration zu verleihen, die weit oberhalb der routinierten Reproduktion liegt. Man spürt ein leises Nachdenken, was ihr und dem Publikum die Songs wert waren und sind, und am Ende ist es wie bei dem Farmer in der Provinz, den Joan Baez eingangs in „Whistle Down The Wind“ als nachdenklichen Menschen porträtiert hat. Soll er das Alte oder das Neue wollen? Und ist das Neue nicht immer auch das Alte? Joan Baez vermag zu bewegen, weil sie nie stehen geblieben ist. Aber manche Antwort weiß eben nur der Wind.