Joan Baez hat auf dem Killesberg mehr als die glockenhelle Reinheit ihrer Stimme geboten. Die ewige Gefühlsmaschine spuckt nun auch Gebrauchsspuren gelebtes Leben aus – und sehnt sich so bewegender als je zuvor.

Stuttgart - Joan Baez hat sich einen Gast eingeladen, der eine Kunst zelebriert, deren Beherrschung sie selbst nie nötig hatte: Marianna Aya Omac kann richtig gut Gitarre spielen. Als sich die junge Französin also in den Leidenschaften des Flamencos austobt, als die Finger ihrer rechten Hand jenen Orkan generieren, dessen Nachhall die Gastgeberin seit Jahrzehnten so unvergleichlich ergreifend mit ihrer Stimme abzubilden vermag, da sagt Joan Baez diesen Satz: „Ich hasse sie, wenn sie das macht!“

 

Der Satz ist ein Witz, natürlich, und er ist im strahlenden Lachen der 71-Jährigen auch klar als solcher erkennbar. Denn Joan Baez hat dem Hass schon abgeschworen, als sie vor mehr als einem halben Jahrhundert ihr erstes Album aufgenommen hat. Seitdem artikuliert sie Anklagen ohne Hass, Betroffenheit ohne Hass, Wehmut ohne Hass, dafür alles mit jeder Menge Empathie. Es haut einen auch jetzt wieder um, dass die große Folksängerin auch nach Jahrzehnten des Balladensingens noch in der Lage ist, jedem Toten in den tragischen Traditionals Nordamerikas ihre ungeteilte Anteilnahme zukommen zu lassen. Dass sie in „Donna Donna“ mitfühlend wie eh und je mit dem Kälbchen bibbert, das sich gegen den Tod auf der Schlachtbank wehrt. Dass sie in „House of the rising Sun“ das Leid der Huren zu ihrem eigenen macht. Dass sie in „Diamonds and Rust“, dem schönsten Lied, das sie selbst je geschrieben hat, ihrer gemeinsamen Vergangenheit mit Bob Dylan mit solch gefühlstrunkener Lakonie huldigt, dass einem doch wieder wohlige Schauer über den Rücken laufen.

Joan Baez hat sich immer schon als menschgewordene Kirchenglocke präsentiert, und auch auf der Freilichtbühne Killesberg klingt sie vor allem hell und hoffnungsfroh. Aber sie hat ihr Ausdrucksspektrum noch erweitert: Man weiß nicht genau, ob der Mut der späten Jahre dafür verantwortlich ist, oder ob die Jahre selber ihr Werk getan haben – jedenfalls ist Joan Baez mittlerweile imstande, eine ausdrucksstarke Brüchigkeit inmitten all der glockenhellen Reinheit ihrer Stimme zu installieren, immer dort, wo’s passt. Die ewige Gefühlsmaschine Baez spuckt nun auch Gebrauchsspuren gelebtes Leben aus – und sehnt sich so bewegender als je zuvor.

Immer auch eine begnadete Schauspielerin gewesen

Aber man sollte sich nicht täuschen: Joan Baez ist immer auch eine begnadete Schauspielerin gewesen – bei aller Unbeugsamkeit, bei aller Haltung , bei aller Getriebenheit im Dienste der guten Sache, die sie in die Lage versetzen mag, ein Lied wie „Sag mir, wo die Blumen sind“ immer noch als Friedenskampf zu zelebrieren: Als sie Bob Dylans frühes Songjuwel „Love is just a Four-Letter Word“ bringt, ist sie cool genug, eine Strophe zu zerschreddern. „Here comes Dylan“, sagt sie dann und äfft näselnd ihren einstigen Gefährten nach. Seltsam, dass ihr just während dieser Strophe das Bühnenlicht lila Haare auf den Kopf zaubert, so als sei bei Omas Dauerwelle was schiefgegangen. Denn tatsächlich blüht sie auf, gerade wenn sie die weihevolle Andachtsatmosphäre durchbricht, die sie selber inszeniert. Denn freilich, so kennt man sie: als große Vorfühlerin, die ihrem Publikum die Textzeilen von John Lennons „Imagine“ einzeln zum Mitsingen vorsagt und die dann fast ein bisschen überkandidelt wirkt, wenn sie in die leidenschaftlichen Ooohs, die Strophen und Refrain verbinden, tonnenweise Schmerz legt.

Aber das ist sie eben auch: die wache, selbstironische Lebensbeobachterin, die das Zwitschern der Vögel bemerkt. „Oh, die Vögel“, entfährt es ihr dann, „ich bin nichts!“ Sie selbst spielt wechselweise zwei identische, jeweils frisch gestimmte Sonderanfertigungen aus der Gitarrenschmiede Martin, und sie hat auch dazu einen Scherz. Ihre beiden Mitstreiter, der Percussionist Gabriel Harris und Dirk Powell, der jede Menge Saiteninstrumente beherrscht, verstehen sich auf Sanftheitsergüsse ebenso wie auf die Ausbrüche, der gutem Folk innewohnt. Joan Baez liefert mit dieser Mannschaft knapp zwei Stunden lang perfektes Seelenentertainment. Und manchmal – tatsächlich – Wahrhaftigkeit.