Am 1. Mai wird Papst Benedikt XVI. seinen Amtsvorgänger Johannes Paul II. nach erstaunlich kurzer Prüfung seligsprechen

Vatikan-Stadt - Sechs Jahre nach seinem Tod, sechs Jahre nach den „Santo-Subito“-Rufen auf dem Petersplatz wird Johannes Paul II. nun also selig gesprochen. „Santo“ ist das zwar immer noch nicht; der Papst und seine gläubigen Anhängermassen müssen sich mit dem Titel „Beato“ zufrieden geben. Aber das Erklimmen der letzten Stufe, der formelle Schritt von der kirchenamtlich festgestellten Seligkeit zur Heiligkeit, das ist nur eine Frage der Zeit; in Polen hat man, im Vatikan lässt man daran keinerlei Zweifel.

 

Heilig? So aber fragen die Kirchenreformer, nach deren Urteil sich Johannes Paul II. jedem notwendigen Wandel verweigert hat. Heilig?, so fragt ein weltweit erschrockenes Publikum: Wie kann einer heilig sein, in dessen Amtszeit, unter dessen Verantwortung so viel sexueller Missbrauch passiert und unter der Decke gehalten worden ist? Heilig? „Schlimmer als ein Tsunami!“ entrüsten sich die erzkonservativen Piusbrüder: Ein Papst, der mit Protestanten gebetet, den Koran geküsst und Schuldbekenntnisse für angebliche Vergehen der Kirche ausgesprochen hat…

Dabei stellt die Selig- oder Heiligsprechung kein historisches Urteil über Leben und Werk der betreffenden Person dar. Kardinal Angelo Amato, der Präfekt der Heiligenkongregation, sagt ausdrücklich, zur Seligsprechung Johannes Pauls II. sei man „nicht gelangt aufgrund des Einflusses, den sein Pontifikat auf die Kirchengeschichte hatte, sondern aufgrund der Tugenden von Glaube, Hoffnung und Liebe, die Karol Wojtylas Leben ausgezeichnet haben.“ Wird am Sonntag also der Mensch Karol Jozef Wojtyla selig gesprochen? Nicht der Papst Johannes Paul II.? Aber lassen die beiden, wenn es denn zwei waren, überhaupt voneinander trennen?

Der „Ruf der Heiligkeit“ ist unerlässlich

Es gehört zu den heikelsten, theologisch-systematisch nie geklärten Fragen bei der Seligsprechung gerade öffentlicher Persönlichkeiten, wie „historische“ Amtsausübung und persönliches Glaubensleben in ihrem Zusammenspiel zu bewerten sind. Kann der Papst den „heroischen Tugendgrad“ als letztes, amtliches Prüfsiegel für Seligsprechung beispielsweise einem Menschen verleihen, der zwar die Kardinaltugenden von Glaube, Hoffnung und Liebe in persönlich herausragender, vorbildhafter Weise gelebt, bei der Amtsausübung aber historisch-politisch versagt hat?

Bei Johannes Paul II. hatte Rom ein Beurteilungskriterium an der Hand, mit dem man sich alle spitzfindigen Abwägungen ersparen konnte: die „fama sanctitatis“. Der „Ruf der Heiligkeit“, den ein Mensch im gläubigen Volk genießt, zählt zu den unerlässlichen Voraussetzungen für den Beginn jedes Verfahrens. Bei Johannes Paul II. sei es dieser einhellige „sensus fidei“ gewesen, der „Glaubenssinn aller Getauften“, der die Kirche zur zügigen Seligsprechung geradezu gedrängt habe, sagt Kardinal Amato.

Dieser Glaubenssinn hat sich demnach nicht nur in den Santo-Subito-Fahnen auf dem Petersplatz manifestiert, er tut das weiterhin „in den mehreren tausend Menschen jeden Alters, die täglich das Grab Johannes Pauls II. besuchen und ihn dort völlig unspektakulär, aber – so weit man das feststellen kann – sehr innig fromm verehren“. So schreibt es ein anderer römischer Kardinal in einer privaten E-mail, und er fügt hinzu: „Das ist es auch, was mich selbst am meisten überzeugt bei dieser Seligsprechung, nicht irgendwelche Wunder oder dergleichen. Diese Verehrung muss man gesehen haben, um zu denken, dass da doch weit mehr dahinter ist als momentane Mode oder gar kirchenpolitische Absicht.“

Seite 2: Heiligsprechung mit den Füßen

So gesehen erinnert der Fall Johannes Pauls II. an die ersten fünfzehn Jahrhunderte der Kirchengeschichte, als nicht in streng geregelten päpstlichen Verfahren, sondern mit den Füßen heilig gesprochen wurde: in Wallfahrten zu den Gräbern von Personen, die als besonders gottgefällig galten, die als Märtyrer gestorben waren oder einen Ruf als Wundertäter hatten. Den Ausdruck „zur Ehre der Altäre erheben“, den nahm man wörtlich: Man stellte die Gebeine der Heiligen auf, unter, oder hinter den Altar, damit oftmals die Unterschiede verwischend zwischen dem einzig legitimen Ziel christlicher Anbetung – Gott, Jesus Christus – und Sterblichen, die zwar der Verehrung würdig sind, von denen aber das Heil nicht abhängt, weil sie keine Götter sind, sondern höchstens Fürsprecher.

Aus jener Zeit sind auch die zwei katholischen Konzepte von Heiligkeit übrig geblieben. Das eine ist die steile theologische Beschreibung aus dem Dogmatik-Lehrbuch, nach der Heiligkeit „das Wesen Gottes als solches, seine unendliche Erhabenheit und Herrlichkeit“ beschreibt, an der „alle Christen durch die Taufe teilhaben“, die aber von einzelnen mehr, von den meisten weniger „verwirklicht“ wird. Das gläubige Aufschauen zu denen, die Gott demnach näher sind, bringt in dieser Konzeption den Aufruf zur tätigen Nachahmung mit sich – wobei die Vorbilder so zahlreich sind und so unterschiedlichen geschichtlichen Situationen entstammen, dass selbst Benedikt XVI. zugibt, er persönlich könne „nicht mit allen diesen Leitsternen“ etwas anfangen.

Die zweite Konzeption ist eine umgekehrte, aber viel volkstümlichere: Da erwartet nicht der Heilige etwas vom Menschen, sondern der Mensch etwas vom Heiligen – Hilfe in allen Lebenslagen, oder gar ein Wunder. Es gibt die „Schutzpatrone“ für Städte oder Berufsgruppen, es gibt die „Nothelfer“, in denen so etwas wie der antike Götterhimmel wieder aufleuchtet, wo ein Heiliger zuständig ist fürs Bauchweh, der nächste für die verschwundene Brieftasche, die übernächste für leibliche Fruchtbarkeit. Heilige dieses Typs werden nicht nachgeahmt; an die Stelle moralischen Verhaltens tritt Verehrung – je stärker, umso wirksamer. Gerade in Süditalien, wo Heiligenfeste pompöser begangen werden als jedes fürs Seelenheil bedeutsamere Glaubensfest, kursiert die Idee, man könne einen Heiligen durch üppige Verehrung zu einer Wohltat regelrecht zwingen. Und Heilige, das sind dann keine Fürsprecher bei Gott, sondern fast wichtiger, auf jeden Fall greifbarer als der Unnahbare selbst.

Der ehemalige Privatsekretär hortet Reliquien

Eine solche Verehrung verlangt dann auch nach Gegenständen, mit denen man des Heiligen habhaft werden kann. Bilder, Ideen, Predigten reichen nicht. Überreste hingegen halten den Wundertäter fest; Reliquien, weit verstreut, vervielfachen die Gnadenorte. Das ist seit dem kirchlichen Altertum so; bei Wojtyla zeigt sich, wie zäh sich solche frommen „Verdinglichungen“ von Heiligkeit halten – gerade bei jener Person, die das am wenigsten nötig hätte.

Stanislaw Dziwisz war der Privatsekretär Karol Wojtylas über 39 Jahre hinweg. Wenn einer die persönliche Heiligkeit dieses Menschen erlebt hat, dann er. Heute ist Dziwisz Erzbischof von Krakau, und als solcher hortet er an Reliquien, was nur geht. Klammheimlich hat er jene Soutane zur Seite geräumt, in der den Papst die lebensgefährlichen Schüsse des 13. Mai 1981 trafen; jetzt hat Dziwisz eine Ampulle mit dem Blut Johannes Pauls II. hervorgezogen, die er sich in dessen letzten Lebenstagen von Ärzten der römischen Bambin-Gesù-Klinik hat füllen lassen.

Vier dieser Ampullen gibt es. Das hat der Vatikan inzwischen klargestellt. Eine wird dem Publikum am Sonntag dargeboten. Das Volk will ja sehen, um zu glauben. Und greifen möglichst. Vielleicht muss man den Seligen ja nur mal richtig durchschütteln. Dann tut er bestimmt ein Wunder.