Im achten Stock des Mercedes-Museums hat Joris („Herz über Kopf“) am Freitagabend bei einem Privatkonzert von Antenne 1 klargemacht, warum er alle Preise abräumt. Im Sommerregen wurde der auf der Dachterrasse geplante Auftritt nach innen verlegt. Die Ereignisse in München sorgten für betroffene Blicke der Besucher aufs Smartphone.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Der Jungstar sitzt im Oldtimer am Steuer. Im gelben Mercedes 230, einer Leihgabe des Mercedes-Museums, ist der 26-jährige Sänger Joris am Nachmittag für Interviews mit Journalisten und für Telefonate mit Hörern von Antenne 1 ins Pressehaus gefahren. Da steigt ein junger Mann aus der Limousine, der ein Kumpeltyp ist, der viel und gern lacht, aber auch nachdenklich wird, weil er nicht nur an der Oberfläche kratzen will.

 

Kaum ein Popheld unserer Zeit schafft es, die gesamte Bandbreite der großen Gefühle bei seinem Publikum wach zu küssen. Mal sind alle tief berührt und mucksmäuschenstill. Dann feiert er mit ihnen wieder eine wilde Party, verströmt mit seiner so kratzigen wie sanften Stimme pure Lebenslust.

Viele schauen betroffen auf ihr Handy, um Neues aus München zu erfahren

Vor dem Pressegespräch will Joris noch schnell eine rauchen. Mit Antenne-1-Musikredakteur Andi Schmitt führe ich ihn auf den Balkon des Pressehauses, wo die Kollegen immer rauchen, und verspreche , mir im offiziellen Teil später die Frage zu verkneifen, ob er Herz- oder Kopf-Mensch ist.

Für diesen Vorsatz bedankt er sich. Denn diese Frage kommt sonst immer. Dabei hat es sich der Absolvent der Popakademie Mannheim mit seinem Ohrwurm „Herz über Kopf“ selbst eingebrockt, dass unsereins ins Sinnieren gerät, ob ihm das Herz zuweilen in den Kopf steigt oder ob der Kopf nicht weiß, was das Herz tut. Man könnte auch sagen: Wer sein Herz verloren hat, mag kopflos werden. Aber wer den Kopf verliert, entdeckt sein Herz. Oder so.

Joris bietet mir eine Zigarette an. Vor 15 Jahren habe ich mit dem Rauchen aufgehört, sage ich ihm. Auch er habe aufgehört, erzählt er, aber dann vor einem Konzert nur eine rauchen wollen. Seitdem ist er wieder „drauf“. Bei einem stressigen Leben, wie er es führt, wundert es nicht. In Stuhr, wo er herkommt, ist er höchstens an Weihnachten. Auch seine Wahlheimat Berlin sieht ihn nur selten. „Mein Zuhause ist der Tourbus“, sagt der 26-Jährige, ohne dies zu bedauern. Denn er hat ja Popstar werden wollen, seit er mit fünf mit dem Trommeln anfing.

In Wien spielte Joris vor 100 000 Zuschauern – im Mercedes-Benz-Museum sind’s am Freitag 150 Gewinner von Antenne 1. Eigentlich war das Konzert draußen auf der Dachterrasse geplant. Doch der angekündigte Sommerregen mit Sommergewitter sorgte für die Verlegung nach drinnen. Ob er vor einer scheinbar endlosen Masse singt oder allen Zuschauern ins Gesicht sehen kann – da wie dort haut er mit geballter Energie rein. Es macht ihm Spaß, sein Publikum dazu zubringen, dass sich wildfremde Menschen umarmen. „Wir leben in einer Zeit, in der wir zusammenhalten müssen“, sagt er, als er noch nicht weiß, was am selben Abend in München geschieht. Wichtig sei es, Angst nicht zuzulassen, sich seine Lebensfreude von Terroristen nicht nehmen zu lassen. Nach dem 75-minütigem Konzert blicken viele Besucher betroffen auf ihre Smartphone, um Neues von der Schießerei in München zu erfahren.

Sein erster Auftritt im Keller-Klub

In Münster, hatte Joris am Nachmittag berichtet, hat ihm kürzlich bei einem Konzert ein Besucher einen Schrecken eingejagt, als dieser durch alle Kontrollen zu ihm auf die Bühne gelangte. „Zum Glück stellte sich heraus, dass er nur besoffen ,Champs-Élysées’ singen wollte“, sagt Joris, „ich hab’ mich ans Klavier gesetzt und mit ihm das gesungen.“

Sein erster Auftritt in Stuttgart war im Keller-Klub. „Wir mussten das Klavier die Treppen runtertragen“, erinnert er sich. Beim Joggen, sagt er, habe er gemerkt, dass die Stadt die Feinstaub-Metropole ist. Und über den Polizeieinsatz mit Wasserwerfern gegen S-21-Gegner hat er sich sehr geärgert. „Herzlich“ seien die Stuttgarter, sagt er noch. Wie schön. Demnach haben wir Herz. Aber auch genug Kopf, um ein Joris-Konzert wärmstens empfehlen zu können. Denn das ist richtig stark! Und mach’ die Augen zu und tanz’!