Im Jahr 2001 beginnt die örtliche Tageszeitung im katholisch geprägten Boston mit Recherchen über sexuellen Missbrauch durch Priester. Tom McCarthys Spielfilm zeigt, wie sich Journalisten dabei auch eigenen Fehlern stellen müssen.

Stuttgart - Der Arbeitsplatz von Journalisten in einer Zeitungsredaktion darf ruhig laut, beengt und ungemütlich sein. So haben das Spielfilme wie „Die Unbestechlichen“ (1976) über die Enthüllung des Watergate-Skandals oder die TV-Serie „Lou Grant“ über die Nachrichtenjagd in Los Angeles erzählt. Nicht, dass Hollywood schon immer etwas gegen Print-Journalisten gehabt hätte, im Gegenteil. Das Unheimelige des Arbeitsplatzes, wird uns nahegelegt, sorgt dafür, dass der Journalist dort wirklich nur seine nächste Geschichte in die Tastatur hackt, dass er sich ansonsten draußen in der Stadt herumtreibt, die er besser kennen sollte als seine Westentasche. So kann er, lautet die Wunschvorstellung, all ihre Funktionsstörungen öffentlich machen, bevor sie gefährlich werden.

 

Macht und Grenzen der Presse

In Zeiten, in denen auch halbwegs gebildete Zeitgenossen „Lügenpresse“ kreischen, wenn die Medien Fakten vermelden oder Ansichten zu bedenken geben, die nicht zum eigenen Weltbild passen, kommt noch einmal ein US-Film über die Macht und Grenzen journalistischer Neugier daher: „Spotlight“. Er geht sogar in sechs Kategorien ins Oscar-Rennen, darunter bester Film, beste Regie, bestes Drehbuch und beste Hauptrolle. Wird da eine nostalgisch verklärte Abschiedsparty geschmissen?

So leicht fällt der Ausschluss einer möglichen Filminterpretation selten: Nein, Nostalgie ist nicht die Triebfeder des von dem Regisseur Tom McCarthy und dem Autor Josh Singer an einem realen Fall entlang geschriebenen Drehbuchs. „Spotlight“ geht dorthin, wo es doppelt weh tut: hinein in die Kindesmissbrauchshistorie des Erzbistums Boston, aber auch hinein in eine Gesellschaft, die gewusst, weggeschaut, geschwiegen hat. Teil dieser Vertuschungsgesellschaft war die Zeitung „The Boston Globe“, eigentlich eine der journalistischen Qualitätsinstanzen der USA.

Abseits des Trubels

Laut, ungemütlich, hektisch geht es auch hier an vielen Arbeitsplätzen zu. Aber ein paar, die besonders wichtig sind für die Handlung des Films, liegen nicht im täglichen Krisenstrudel des Newsrooms, sondern abseits in einer Art Kellerbüro. Hier arbeitet ganz nach eigenem Gusto eine kleine Elitetruppe, Spotlight genannt, die befreit ist von den Zwängen des Alltags. Sie darf die besonderen, nachhaltigen Geschichten recherchieren. Gründlichkeit geht dabei vor Termindruck. Das unansehnliche Kabuff ist der Journalistenhimmel.

Wie in vielen klugen Filmen wird auch in „Spotlight“ nicht jede interessante Aussage in Dialoge verpackt. McCarthy („The Station Agent“, „Ein Sommer in New York – The Visitor“) zeigt die Arbeitsplätze der Spürhunde so, dass nicht nur deren Herausgenommensein aus Befehlsketten und Alltagstrott klar wird. Der Ort mischt auf seltsame Weise Abgeschoben- und Abgehobensein, legt nahe, wie schnell man hier im eigenen Saft schmoren kann, wie klein der Kreis derer ist, die das eigene kollektive Tun kritisch hinterfragen.

Die alte Garde und die Kirche

Mark Ruffalo spielt den Reporter Mike Rezendes, einen immer ein wenig unbeholfen, gar nicht durchsetzungsfähig wirkenden Turnschuhträger, der in einem gewöhnlichen Journalistenthriller die Lichtgestalt abgeben könnte, die nach und nach durch Cleverness, Mut und Beharrlichkeit einen Skandal aufdeckt. Aber auch wenn wir die Zustände in Bostons katholischer Kirche hauptsächlich durch die suchenden Augen der Journalisten wahrnehmen, blickt der Film eben nicht nur mittels eines außer Frage stehenden Enthüllers auf allmählich ins Licht gezogene Schuldige.

Wie es zum Versagen kam

Es geht auch um die alte Garde im „Globe“, die immer nur vermeldet hat, was unbedingt vermeldet werden musste, und sich ums Nachfragen herumgemogelt hat, um Leute wie den von Michael Keaton gespielten Spotlight-Chef Walter Robinson. Der wird nicht verteufelt. McCarthy und Singer versuchen zu erkunden, wie es zum Versagen kommen konnte. Eine Lokalzeitung kann nicht existieren, wenn sie vom Ort nicht als Teil der Gemeinschaft wahrgenommen wird. Aber Teil der Gemeinschaft zu sein, das kann bedeuten, deren Blindheiten, Tabus und Vorurteile zu übernehmen.

Der „Boston Globe“ bekommt 2001 einen neuen Chefredakteur von außen, Marty Baron (Live Schreiber). Sehr genau zeigt der Film die klassische Frontlinie: die alten Hasen am Ort definieren sich als Gralshüter journalistischer Tugenden, dem Neuen wird als Dilettant, als Sparkommissar, als Propagandist der Verflachung erst einmal misstraut. Aber es ist der Neue, der die Recherche gegen die Kirche fördert. Bei seinem Antrittsbesuch beim Erzbischof bekommt der Jude Baron von dem einen Katechismus geschenkt: damit er gleich mal weiß, wessen Gesetze in Boston gelten.

Was Journalismus kann

„Spotlight“ macht deutlich, wie schwierig Recherche sein kann, wie viele Hindernisse es gibt, wie vorsichtig Journalisten im Umgang mit jenen sein müssen, die ihnen momentan helfen, aber dabei stets Eigeninteressen verfolgen. Aber dieser Film positioniert sich mit seiner Darstellung der Mühseligkeit gerichtsfester Berichterstattung nicht nur gegen das Gegeifer über die angebliche Lügenpresse. Er macht auch Mut: das Schweigekartell von Boston wurde geknackt, der Missbrauch wurde öffentlich, und die bis dahin halbwegs funktionierende Aussitzpolitik des Vatikans versagte. Journalismus kann die Welt durch ihr Beschreiben nach wie vor verändern.

Spotlight. USA 2015. Regie: Tom McCarthy. Mit Mark Ruffalo, Michael Keaton, Liev Schreiber, Rachel McAdams, Brian d’Arcy James, John Slattery, Stanley Tucci. 129 Minuten. Ohne Altersbeschränkung.