Zusammen mit Studierenden der Schauspielschule hat der Profikomiker Jozef Houben das avangardistische Stück „Fälle. Fallen“ auf die Bühne gebracht. Es zeigt: Wer sich dagegen wehrt, hat keinen Spaß.

Stuttgart - Der Komiker Jozef Houben bringt mit dem avantgardistischen Stück „Fälle. Fallen“ eine Absage an die gängige Erwartungshaltung auf die Bühne. Gerade im Corona-Jahr 2020 kann man daraus etwas lernen.

 

So richtig viel verstanden hat man am Ende nicht – doch anders als in der Quarantäne-Realität der vergangenen Monate ist dieser Verwirrungszustand auf der Bühne des Wilhelma-Theaters zumindest Absicht. Das dadaistische Antitheaterstück „Fälle. Fallen“, das am vergangenen Freitag Premiere feierte, basiert auf Texten des russischen Avantgardisten Daniil Charms und setzt der gängigen Spiellogik leichtfüßig ihr eigenes Gegenteil vor: augenscheinlichen Unsinn. In der Inszenierung des Komikers Jozef Houben wird es so zum Spiegel einer bröckelnden Normalität, die außerhalb ihrer eigenen Regeln nicht mehr funktioniert – und wirkt damit gerade im Corona-Jahr 2020 erschreckend aktuell.

Von einem roten Faden fehlt jede Spur

Seine Absage an die Erwartungshaltung der Zuschauer spielt Houben auf der Bühne dabei bis ins Letzte aus. Zu Beginn startet man noch mit einer vermeintlichen Rahmenhandlung. Eine Frau steht in ihrer Wohnung und wird von zwei Männern an der Tür bedroht. Sie soll ein Verbrechen begangen haben, für das sie nun verhaftet wird. Allein: Womit sie sich schuldig gemacht haben soll, ist der Frau vollkommen schleierhaft. Doch noch bevor man als Zuschauer Parallelen zu Kafkas „Der Proceß“ ziehen kann, zerfällt das Bild schon ohne jeglichen Hinweis auf eine mögliche Auflösung. Aus der vermeintlich Kriminellen und ihren Anklägern wird eine bunte Gauklertruppe, die breit grinsend um sich selbst herumtanzt und dabei die blutigen Details eines Verbrechens aufzählt, von dem man sich schon nicht mehr sicher ist, ob es überhaupt noch etwas mit der Auftaktszene zu tun hat. Statt das Rätsel aufzulösen, entfernt sich das Stück auf diese Weise immer weiter von seinem Ursprung. Einmal begleitet man einen Mann dabei, wie sein Rendezvous in die Hose geht, dann schaut man einem Duo dabei zu, wie es versucht, ein Märchen zu erzählen, das es noch nicht gibt. Ein Puppenzirkus führt immer absurdere Kunststücke auf, und zwei freischwebende Köpfe erzählen die Geschichte einer alten Frau, die sich beim Sturz aus dem Fenster das Genick brach. Ein roter Faden? Nichts da.

Das Lächerliche bleibt nie sich selbst überlassen

Doch genau an diesem Punkt entsteht der eigentliche Zauber des Stücks. Während man auf der Suche nach einem Zusammenhang zwar atemlos hinter den Szenen her hecheln kann, entdeckt man ihre wahre Brillanz erst, wenn man sich beim Zusehen genauso bedingungslos fallen lässt, wie es die Inszenierung fordert. Gekonnt lässt Houben dann an den Rändern des Erwartbaren eine Komik entstehen, die so eindringlich ist, dass man immer stärker in ihren Sog gerät. Das funktioniert auch deshalb besonders gut, weil die Darsteller – Wiktor Grduszak, Cora Kneisz, Natalja Maas, Jonas Matthes, Liliana Merker, Félicien Moisset und Jakob Spiegler – das Lächerliche auf der Bühne nie sich selbst überlassen. Wenn sie mit Kleinmädchenstimme und gelber Riesenschleife auf dem Kopf lispelnd die nächste Zirkusattraktion ansagen, wenn sie sich gegenseitig scheppernde Blechdeckel über den Kopf ziehen oder in ein Plastikpferd eingezwängt über die Bühne hoppeln, verleihen sie dem Absurden gekonnt den Anschein des Alltäglichen. Vielleicht kann man aus dieser doppelten Illusion letztlich sogar noch etwas ganz anderes mitnehmen: Nämlich, dass Dinge manchmal leichter werden, wenn man sich auf sie einlässt.

Weitere Termine

„Daniil Charms: Fälle. Fallen“. Wilhelma-Theater. Regie: Jozef Houben. Es spielen die Studierenden der Schauspielschule Wiktor Grduszak, Cora Kneisz, Natalja Maas, Jonas Matthes, Liliana Merker, Félicien Moisset und Jakob Spiegler. Weitere Vorstellungen am 17., 18. Oktober, 6., 7., 19., 20., 27. November, 4., 5. Dezember, jeweils um 19.30 Uhr. Kartentelefon: 07 11 / 95 48 84 95.