Viele Köche verderben den Brei? Von wegen. Die Notfallseelsorge im Kreis beweist das Gegenteil. Trotzdem plagt ihren Leiter eine Sorge.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Kreis Ludwigsburg - Verhängnisvolle Unfälle, verheerende Brände oder vergebliche Reanimationsversuche: Es sind die dunkelsten Momente eines Menschenlebens, in denen Notfallseelsorger zum Einsatz kommen. Wenn Menschen vom Tod eines nahen Angehörigen erfahren, ihn womöglich gar miterlebt haben, sind sie fassungs- und hilflos. Polizei und Rettungskräfte haben aber in der Krisensituation nicht die Kapazität, ihnen zur Seite zu stehen.

 

Ein Vorbild für das ganze Land

Das übernehmen Ulrich Gratz, evangelischer Pfarrer aus Oberriexingen und Leitender Notfallseelsorger, oder seine Kollegen – im Jahr 2018 allein 229 Mal. „Wir sind bei diesen Menschen, bis ihr soziales Netz wieder greift, bis Freunde, Geschwister oder Eltern kommen“, berichtet er. „Wir bleiben die ersten Stunden nach der Nachricht. Zur Not auch die ganze Nacht.“

Die kreisweite Notfallseelsorge ist in ihrer Struktur in Baden-Württemberg einzigartig, „wenn nicht gar in ganz Deutschland“, sagt Gratz. Wo sonst Rettungsdienste und Kirchen oft ihr eigenes Süppchen kochen, setzten vor 20 Jahren im Kreis Ludwigsburg die Verantwortlichen ihre Institutionsbrillen ab und zogen an einem Strang. „Jeder hat seine eigene Schublade, aus der er manchmal schwer herauskommt. Wir haben das etwas freier gesehen“, erinnert sich Dietmar Müller, Kreisbereitschaftsleiter des Deutschen Roten Kreuzes, an die Anfänge. Das Resultat spricht für sich: Die Notfallseelsorge steht heute so da, „dass andere Landkreise von unseren Strukturen und Konditionen nur träumen können“, so Ulrich Gratz.

Auch Helfer brauchen Hilfe

Das DRK und die Kirchen tragen das Angebot gemeinsam. Es ist eng vernetzt mit allen Behörden und Organisationen im Kreis, die Sicherheitsaufgaben haben. Seit 2012 gibt es für die zuvor ehrenamtliche Leitung eine halbe Hauptamtlichen-Stelle, die Ulrich Gratz bekleidet. Die evangelische Landeskirche und der Landkreis finanzieren sie, die katholische Kirche beteiligt sich an den Sachkosten. Ohne Sponsoren ginge es aber trotzdem kaum.

Die 102 Seelsorger kommen aus Kirchen-, DRK-, Polizei-, Feuerwehr- und DLRG-Kreisen. Zudem gibt es eine interkulturelle Seelsorgergruppe für Einsätze, die religiöse oder sprachliche Barrieren bergen. Und knapp 30 Notfallseelsorger sind eigens dafür geschult, den Rettungskräften selbst zu Seite zu stehen, wenn sie schwere Einsätze verkraften müssen. Ohnehin wird auf die Aus- und Fortbildung viel Wert gelegt. In den zwei Jahren Vorbereitung auf das Amt brauche man keine anderen Hobbys, scherzt Gratz. Ihren Dienst tun die Helfer unentgeltlich. „Aber er gibt einem viel zurück“, erzählt der Pfarrer. „Es ist eine sinnhafte Tätigkeit.“

Eine Stütze für die Polizei

Eine Tätigkeit obendrein, die Polizei und Rettungsdienste entlastet. „Wenn man eine Todesnachricht überbringen und dann wieder gehen muss“, sagt Frank Spitzmüller, Leitender Kriminaldirektor am Polizeipräsidium Ludwigsburg. „beschäftigt es einen, in welcher Verfassung man die Hinterbliebenen zurücklassen musste. Wenn man sie in der Obhut von profund ausgebildeten Menschen weiß, ist das erleichternd.“ Ulrich Gratz hofft, dass sich auch in der nächsten Generation Mitstreiter finden werden. „Wenn ich sehe, wie sich die Wertigkeiten verschieben, habe ich manchmal aber leise Zweifel.“