Sie wollen das Verbindende hervorheben, statt das Trennende vorzuschieben: Der „Dialog der Religionen“ in Ludwigsburg ist 20 Jahre alt – und in vieler Hinsicht ein Vorreiter.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Ludwigsburg - Es sind gut investierte fünf Minuten, sich die „Ludwigsburger Erklärung der religiösen Gemeinschaften und Einrichtungen – Suchet der Stadt Bestes“ zu Gemüte zu führen. Was sie über Achtung, Toleranz, Gastfreundschaft, Verantwortung in der Kommune, Gemeinschaftsbildung oder Vermeidung von Ghettobildung aussagt, war schon im Unterzeichnungsjahr 2009 beispielgebend. „Modellhaften Charakter“ habe die Erklärung in Baden-Württemberg gehabt, so Barbara Traub. Die Psychotherapeutin ist Vorstandsvorsitzende der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg, lehrt an der Pädagogischen Hochschule und hat damals an der Ludwigsburger Erklärung mitgearbeitet. Diese wiederum wäre wohl kaum entstanden, wenn es den „Dialog der Religionen“ in Ludwigsburg nicht gäbe.

 

Als der Muezzin über den Marktplatz rief

Der Dialog, der in Ludwigsburg genau genommen ein Multilog ist, hätte im gerade zu Ende gegangenen Jahr eigentlich etwas zu feiern gehabt. 20 Jahre ist er alt, entstanden unter den Eindrücken der Terroranschläge vom 11. September 2001 – allerdings, wie der frühere evangelische Stadtkirchenpfarrer Wolfgang Baur klarstellt, auf schon gutem Fundament fußend. Dennoch: „Dass da ein Bürgermeister in eine Moschee geht, eine Rede hält und sagt, dass Muslime keine Terroristen sind, war etwas Besonderes“, erinnert sich Hüseyin Cam von der Alevitischen Gemeinde an das Signal des damaligen Ersten Bürgermeisters Eberhard Wurster. „Wir waren enorm froh darüber. Und die ersten Jahre mit den interreligiösen Friedensgebeten auf dem Marktplatz werde ich nie vergessen.“ Dass da ein Muezzin über den Barock-Weihnachtsmarkt rief und Christen und Muslime gemeinsam beteten, war indes nicht allen Passanten genehm. „Sind wir hier in Saudi-Arabien?“ Abfällige Bemerkungen wie diese sind Hüseyin Cam im Kopf geblieben.

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Die ermutigenden, verbindenden Aspekte des „Dialogs der Religionen“ machen skeptische Untertöne allerdings locker wett, finden die Beteiligten. Dass Christen, Muslime, Juden und Hindus sich austauschen, respektvoll auseinandersetzen, aktiv das Miteinander stärken und sich auch kommunalpolitisch einbringen, gehört in Ludwigsburg zwar mittlerweile zum guten Ton, ist aber trotzdem keine Selbstverständlichkeit.

Die Skepsis ist gewichen

Die rund 300 Hindus in der Region seien erst skeptisch gewesen, sagt Subramaniya Suresh: „Wozu ein Dialog? Wir wollen uns nicht konvertieren lassen.“ Dass es darum gehe, sich füreinander zu interessieren, das zu erkennen habe etwas Zeit gebraucht. „Mittlerweile gibt es eine große Freude darüber, dass man miteinander kommunizieren kann.“ Dass man religionsübergreifend nach Stuttgart zum Kennenlernen des Hindu-Tempels und der Synagoge fährt – in Ludwigsburg sind diese Religionsgemeinschaften nicht groß genug, um eigene Gotteshäuser zu bauen – oder dass Hindus mit Anders- oder auch gar nicht Gläubigen in der Friedenskirche gemeinsam Mandalas gestalten: dass man sich eine solche Offenheit erarbeitet habe, das könnten Auslands-Hindus und Auslands-Inder, denen er davon erzähle, kaum glauben, berichtet Suresh. „Dass alle gemeinsam eine Öllampe anzünden als Symbol, dass man sich wohlfühlt in einem Hause Gottes: Das ist eine Erfahrung, die man einmal gemacht haben muss.“

Inzwischen gibt es auch muslimische Notfallseelsorger

Doch wie weit trägt das Engagement der Religionen über einen kleinen Kreis von Ambitionierten hinaus? „Es gibt im Krankenhaus mittlerweile einen Gebetsraum für alle Religionen. Wir haben muslimische Notfallseelsorger“, zählt Pfarrer Heinz-Martin Zipfel von der katholischen Kirche auf. „Und die Veranstaltung ,Wie klingt, was du glaubst?‘ hat zum Beispiel solche Kreise gezogen, dass kein Platz mehr frei war.“ Auch über die „treuen, hoch engagierten Mitstreiter hinaus“ Menschen anzusprechen, „denen der Dialog der Religionen nicht per se eine Herzensangelegenheit ist“, sei aber in der Tat eine wichtige Zukunftsaufgabe, sagt Zipfels evangelischer Kollege Martin Wendte.

„Wir schweigen die Differenzen nicht tot“

Im Stadtgeschehen präsent war der „Dialog der Religionen“ seit Corona etwa mit interreligiösen Kundgebungen für den sozialen Zusammenhalt in Ludwigsburg oder mit einer Spendensammelaktion für die Opfer der Flutkatastrophe im Ahrtal. Auch mit der Stadtverwaltung ist der Dialog eng vernetzt: Die städtische Mitarbeiterin Anne Kathrin Müller koordiniert die Gruppe.

„Dass wir Unterschiede ansprechen, sie aber auch stehen lassen können, macht uns aus. Wir schweigen Differenzen nicht tot. Wir kennen und schätzen uns und reden auf gleicher Augenhöhe über die Dinge. So weit zu kommen, dafür braucht es Beharrlichkeit“, sagt Muhittin Soylu. „Wir sind Vorreiter für viele andere Kommunen.“ Sami Ercan von der Ditib-Moschee, von Anfang an dabei, wünscht sich eines von Herzen: „Dass unsere Kinder und Enkel den Dialog der Religionen weiterführen.“ Und das Jubiläum – das soll nachgefeiert werden, wenn Corona vorbei ist.