Hugo Karl Langer ist 101 Jahre alt und hat seine Memoiren verfasst. Sie handeln auch von Verlust und Schmerz.

Stuttgart-Feuerbach - Auf den ersten Blick ist er unprätentiös, der broschierte weiße Band. Aber der Titel erzählt von viel Leben. „Erinnerungen eines Hunderteinjährigen“ nennt Hugo Karl Langer seine Autobiografie, die nun zu seiner Geburtstagsfeier im Paul-Hofstetter-Haus auslag. In dem Awo-Seniorenzentrum Pfostenwäldle lebt der Senior seit knapp einem Jahr. „Nach einem Sturz konnte ich nicht mehr alleine in meiner Wohnung leben“, erzählt er. Aber bei der Arbeiterwohlfahrt gefällt es ihm gut, die Pflegerinnen und Pfleger seien „Engel“, denen er den Erlös seines Buchs zukommen lassen will.

 

Unterstützt von einem Heimbewohner und einer Doktorin schrieb er Stationen seines Lebens auf, die gleichzeitig auch die Geschichte des bewegten 20. Jahrhunderts widerspiegeln. 1918 im heute tschechischen Jihlava, dem damals österreichischen Iglau, geboren, verbrachte er als Kind eines hohen Beamten, eine glückliche Kindheit. Er sei ein echter „Grasl“ gewesen, ein Lausbub im Österreich-Mährischen. So manche Stinkbombe habe er geworfen – ohne größere Folgen. „Obwohl die Lehrer damals sehr streng waren, brüllten und auch die Rute in die Hand nahmen, blieb ich eher ‚verschont‘, da mein Vater als Bezirkshauptmann sozusagen der oberste Chef der Lehrer war.“ Noch vor dem Abitur reiste er schon „per Autostopp“ mit Freunden an die Côte d’Azur oder ins einst jugoslawische Dubrovnik. Sein Elektrostudium in Brünn sollte indes nur ein Jahr dauern, da Adolf Hitlers Truppen in die damalige Tschechoslowakei einmarschierten. Wissend, dass er eingezogen werden würde, meldete sich Langer freiwillig, um selbst die Truppe aussuchen zu können. Da er wegen Schwindels nicht Flieger wurde, ließ er sich zum Funker und Fluglotsen ausbilden, besuchte jeden nur möglichen Lehrgang, um Front und Töten zu entgehen. „Von Beginn des Zweiten Weltkriegs an wusste ich, ich kann und werde nicht auf andere Menschen schießen. Sie haben mir nichts getan. Ich bin gläubig, halte mich an die zehn Gebote.“

Sein Motto „Nie aufgeben!“ brachten ihn durch den Weltenbrand. Und Glück: Als der Krieg endete, befand er sich auf einem UKW-Lehrgang in Tirol. „Eigentlich hätte der Kurs in Perleberg stattfinden sollen, das die Russen besetzten.“ Während er in amerikanische Gefangenschaft kam, wurde sein Onkel – aus Rache an den Nazis – in Brünn aus dem Fenster geworfen. Aus der Tschechei vertrieben wurden Mutter und Schwester, die ihre beiden Kleinkinder auf dem Marsch nach Österreich verlor: „Unendlicher Schmerz machte sie fast wahnsinnig.“

Langer indes meldete sich im Lager als Koch, kam nach Bayern, „organisierte“ dort für die Amerikaner Lebensmittel. „Man durfte sich nicht erwischen lassen!“ Nach seiner Entlassung kam er nahe Ingolstadt bei der Mutter eines Freundes, dann in einem verfallenen Professorenhaus unter, wo auch eine – vertriebene – ungarndeutsche Familie mit Tochter Luise, einer angehenden Lehrerin, lebte. „Als ich sie das erste Mal sah und ihr die Hand gab, wusste ich sofort, sie wird meine Frau werden.“ Er sollte Recht behalten, obschon Luises Vater einen Tierarzt als Schwiegersohn in Aussicht hatte. Nach der Heirat im Dom zu Ingolstadt kamen zwei Söhne zur Welt, die versorgt werden wollten. Er arbeitete als Dreher in Mannheim, was seine Armmuskeln reißen ließ, da wurde er in Stuttgart bei „Brown, Boveri & Cie“ Pförtner. Der Spott der Belegschaft, nun öffne ein Akademiker die Türen, habe ihn angespornt. Er arbeitete sich ein, stieg zum Immobilienverwalter auf.

Für den Ruhestand erwarb er eine Wohnung in Stuttgart sowie ein Stück am Plattensee, baute ein Haus. Viele Sommer seien Luise und er in diesem glücklich gewesen. Dort feierte er 2018 seinen 100. Geburtstag, organisiert von Sohn Horst, der als Geophysiker in Catania, am Fuße des Ätnas lebt. „Ich liebe Ungarn, das Land, die Menschen“, so der Jubilar. Zu seinen Elixieren gehören denn auch neben einem Schluck Kräuterschnaps ungarische Kolbász-Salami und Honig: „Das beste Heilmittel!“