Rund 40 Jüdinnen und Juden aus der Ukraine sind bisher in Stuttgart angekommen. Es wird angenommen, dass ihre Zahl noch wächst.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - Die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) mit Sitz in Stuttgart hat viel Erfahrung bei der Integration und im Umgang mit Menschen, die aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion kommen. „Vier Fünftel unserer Gemeindemitglieder sind ukrainischer oder russischer Herkunft“, berichtet die Vorstandsvorsitzende Barbara Traub auf Anfrage. Das entspricht etwa 2200 von 2800 Mitgliedern. Etliche leben schon in zweiter Generation hier.

 

Daran wird deutlich, warum der Krieg in der Ukraine, wo noch rund 300 000 Juden leben, die jüdische Gemeinde hier in besonderer Weise beschäftigt. Die bedrückenden Entwicklungen finden innerhalb der Gemeinde ein unmittelbares Echo. Wie fallen die Reaktionen aus? Es gebe unterschiedliche Sichtweisen, sagt Barbara Traub. Einigkeit herrsche darüber, dass Krieg und Gewalt der falsche Weg sind. „Wir versuchen, das Politische bewusst rauszuhalten und konzentrieren uns auf die humanitäre Hilfe, die jetzt notwendig ist.“

Die jüdische Gemeinde stellt bis zu 100 000 Euro bereit

Für dieses Anliegen engagieren sich viele. Aus der Gemeinde kommt Unterstützung verschiedenster Art – von Wohnungsangeboten bis zu Initiativen, Geflüchtete aus dem Grenzgebiet abzuholen. Auf große Resonanz sei auch eine Spendensammlung jüdischer Studierender gestoßen. „Es ist beeindruckend, wie viele Menschen in und außerhalb der Gemeinde Hilfe anbieten“, sagt Traub, die auch dem Präsidium des Zentralrats der Juden in Deutschland angehört. Die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg selbst stellt einen Betrag von bis zu 100 000 Euro für humanitäre Hilfe und lokale Formen der Unterstützung bereit. Mit der Zentralwohlfahrtsstelle, dem sozialen Dachverband der mehr als 100 jüdischen Gemeinden in Deutschland, steht man in engem Kontakt, um die Hilfe zu koordinieren. Ebenso mit der Stadt Stuttgart und dem Land. „Wir haben uns an die Behörden in Baden-Württemberg gewandt mit der Bitte, dass sie jüdischen Flüchtlinge aus der Ukraine in Unterkünfte in die Nähe von jüdischen Gemeinden vermitteln“, schreibt die IRGW auf ihrer Homepage. Sie unterhält in Stuttgart zwei Flüchtlingsunterkünfte. Man sie auch offen für nicht jüdische Geflüchtete, erklärt Barbara Traub. Bisher seien rund 40 Jüdinnen und Juden aus der Ukraine in Stuttgart eingetroffen. Vor allem Frauen und Kinder. Die IRGW mit Zweigstellen in Ulm und Esslingen stellt sich darauf ein, dass ihre Zahl steigen wird.

Manche haben Angst, Russisch zu sprechen

Eine wichtige Funktion bei der Betreuung der Geflüchteten kommt laut Barbara Traub den Rabbinern der Gemeinde zu, Yehuda Puschkin, Shneur Trebnik und Mark Pavlovsky. Außerdem könne man auf die Expertise der jüdischen Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung, Ofek, zurückgreifen, die sich um traumatisierte Kinder kümmere.

Ein Punkt ist Barbara Traub in der aktuellen Situation besonders wichtig: „Wir hoffen, dass dieser Konflikt nicht auch hier ausgetragen wird.“ Mit Sorge beobachtet sie, dass manche Gemeindeglieder inzwischen Angst hätten, Russisch zu sprechen oder Eltern ihren Kindern ermahnen würden, sich auf der Straße nicht als Russen erkennen zu geben. Sie betont deshalb: „Für Putins Krieg dürfen nicht die Menschen verantwortlich gemacht werden.“