Jürgen Klinsmann war unter dem Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder VfB-Spieler und Bundestrainer. Ein ganz persönlicher Nachruf aus Amerika.

Huntington Beach - Jürgen Klinsmanns persönlicher Nachruf auf Gerhard Mayer-Vorfelder:

 

„Manche Meldungen verlieren auch in 10 000 km Entfernung nicht ihre Wirkung. MV gestorben. Der Präsident – mein Präsident beim VfB und beim DFB. Da braucht man Zeit. Wir haben uns bestimmt schon eineinhalb Jahre nicht mehr gesehen und natürlich habe ich immer wieder gehört, dass es ihm nicht besonders gut ging – und doch ist diese Meldung dann doch von einer brutalen Endgültigkeit.

Ich hatte das Glück, mit Menschen wie Axel Dünnwald-Metzler, Ernesto Pellegrini bei Inter Mailand oder Gerhard Mayer-Vorfelder beim VfB und beim DFB ganz besondere Präsidenten zu erleben. Solche Persönlichkeiten können Fußballspieler prägen – nicht nur auf dem Spielfeld, sondern auch außerhalb.

Begegnungen können ihn besser beschreiben als jede Nachricht. Als er bereits über 80 Jahre alt war, haben wir uns im Stadion bei einem VfB-Heimspiel getroffen. Und ganz und gar fußball-untypisch hat er nicht von alten Geschichten erzählt (von denen er gewiss genug erlebt hat), sondern er hat pausenlos gefragt. „Wie geht es deinen Kindern“, „fühlst du dich wohl in Kalifornien“, „was ist mit dem Fußball in den USA“ – dass ein Mann wie Gerhard Mayer-Vorfelder in diesem Alter mehr fragt als erzählt – das charakterisiert ihn. Immer noch was aus erster Hand erfahren und dies dann abspeichern – das hat ihn geprägt.

Oder 2005 – nach dem Tod meines Vaters. Da tauchte er acht Wochen nach der Beerdigung in der Familien-Bäckerei in Botnang auf einen Kaffee auf: „Frau Klinsmann – wie geht es?“ Als ich mich dafür bedankt habe, hat er gesagt: „Warum? Das habe ich doch versprochen.“

Natürlich hat er auch Fehler gemacht und ab und zu mal einen Trainer verpflichtet, der sich als nicht optimal für unsere Mannschaft erwiesen hat. Aber angesichts der Gesamtzahl an Entscheidungen ist dies zu verkraften. Und vor allem: er hat seine Entscheidungen immer getroffen, weil er davon restlos überzeugt war. Er war kein Opportunist, er tat nichts, um Zeit zu gewinnen oder um guten Eindruck zu schinden. Er schaute nie, woher der Wind wehte – manchmal war er im Gegenwind sogar besonders gut.

Und er schenkte den jungen Leuten Vertrauen, setzte sich für sie ein. Ein Scout aus der Schweiz, Konditionstrainer aus den USA – er musste sich gewiss einiges anhören beim DFB in meiner Anfangszeit. Natürlich hat er zwischendurch mal gefragt: „Jürgen, muss das sein?“ Aber er vergeudete keine sinnlose Zeit mit opportunistischen Diskussionen, sondern er setzte sich mit den Konditionstrainern und dem Scout an einen Tisch, fragte sie aus und sagte dann zu mir: „Alles klar, tut mir leid, dass ich gezweifelt habe. Die Leute sind absolut top.“

Ich bin unendlich froh, dass er im vergangenen Sommer diesen WM-Triumph in Brasilien erleben durfte. Das machte das Glück vollkommen – weil es auch sein WM-Triumph war. Er hat im Jahre 2000 mit den Nachwuchsleistungszentren und der Förderung der Jugendspieler die Basis geschaffen für den Aufschwung des deutschen Fußballs. Mit der Zwischenstation, der WM 2006 im eigenen Lande, bei der es mir heute noch wehtut, wie er beim Spiel um Platz drei in Stuttgart ausgepfiffen wurde. Das war eine der größten Fußballpartys, die je in Stuttgart gefeiert wurden – und ohne MV hätte dieses Spiel niemals in Stuttgart stattgefunden. Aber er hat sich nicht öffentlich beschwert. Nicht einmal im kleinsten Kreis. Er hat sich an diesem Abend vor allem mit der Mannschaft gefreut. Und bestimmt hat er auch an diesem Abend wieder einiges gefragt . . .“