Der grüne Spitzenkandidat Jürgen Trittin hat sich im Laufe seiner Karriere viele Gegner gemacht. Das spürt der 59-Jährige nun – jetzt, wo ihm wegen der Pädophilie-Debatte über seine Partei der Wind ins Gesicht bläst.

Stuttgart - In diesen Tagen kommt es knüppeldick für Jürgen Trittin. Dabei hatte er sich so sicher gefühlt. Seit 2005, nach dem Abgang Joschka Fischers von der politischen Bühne, ist er die Nummer eins seiner Partei. Dass bei den Grünen das Prinzip der gemischten Doppelspitze gilt, ändert daran nichts. Parteichefin Claudia Roth hat die Spitzenkandidatur nicht erreicht, die Co-Fraktionschefin Renate Künast bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus verloren. Cem Özdemir schwäbelt freundlich über allerlei. Und Co-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt ist eher eine nette, denn eine gleichgewichtige Partnerin im Bundestagswahlkampf.

 

Wenn es hart zur Sache geht, ist Jürgen Trittin zur Stelle. Dann spielt der fast zwei Meter große Bremer nicht nur seine körperliche Überlegenheit aus. Er gibt dem politischen Gegenüber auch intellektuell gern von oben herunter zu verstehen, dass er es besser weiß. Unvergessen die Parteitags-Redeschlachten, die er sich mit dem Realo Joschka Fischer lieferte. Unvergessen auch seine Provokation, als er 1998 gegen das öffentliche Gelöbnis von Rekruten protestierte mit dem Argument, „es hat eine Zeit in Deutschland gegeben, wo öffentlich gelobt und vereidigt wurde, das waren die Zeiten des blanken faschistischen Terrors“. Das fanden auch viele Parteifreunde unsäglich. Als er 2001 über den damaligen CDU-Generalsekretar Laurenz Meyer sagte, er sehe nicht nur aus wie ein Skinhead, sondern denke auch so, war Kanzler Gerhard Schröder nah dran, seinen Umweltminister aus dem Kabinett zu werfen.

Im Bundestag war er der eigentliche Oppositionsführer

Vor ein paar Jahren noch musste sich der heute 59-Jährige von seiner Basis anhören, er benehme sich flegelhaft im Fernsehen. Seither hat er an seinem Auftreten gearbeitet. Zuerst war der Schnauzbart ab, dann kamen die guten Anzüge, der Ton wurde konzilianter, das Auftreten verbindlicher. Und er hat inhaltlich dazugelernt. Es gibt viele, die Jürgen Trittin nicht mögen, aber auch sie räumen ein, dass er der eigentliche Gegenpart der Kanzlerin war. Ein Linker ist er trotz seiner Läuterung geblieben. Das belegt das Wahlprogramm, das – besonders bei den Steuerforderungern – seine Handschrift trägt.

Die Vorwürfe, die ihm nun zusetzen, reichen weit zurück. 32 Jahre ist es her, dass der Student Trittin 1981 presserechtlich verantwortlich zeichnete für ein Kommunalwahlprogramm, in dem Straffreiheit für gewaltlosen Sex mit Kindern gefordert wurde. Heute fasst man sich an den Kopf. Doch für Trittin und die Grünen ist das vor der Bundestagswahl eine schwere Hypothek.

Nach der Wahl wird abgerechnet

Man darf unterstellen, dass Pädophilie seinerzeit nicht in Trittins Fokus stand; ihm ging es um die Überwindung des Kapitalismus. Aber warum er schwieg, als seine Partei die Aufarbeitung des heiklen Themas beschloss, warum er das Thema durch eigene Recherche nicht für sich abräumte – das muss er sich schon fragen lassen. Hat er sich weggeduckt? „Wir Grünen, mich eingeschlossen, haben in den frühen 80er Jahren eine Position vertreten zur Pädophilie, die muss allen Missbrauchsopfern als Hohn erscheinen. Und das ist ein Fehler gewesen“, räumte er am Dienstag erneut ein – wohl wissend: nicht nur für den politischen Gegner ist die Debatte ein gefundenes Fressen. Auch innerparteilich dreht sich der Wind – natürlich nicht offen, nicht vor der Wahl. Aber wenn die Grünen am Sonntag einbrechen, wird der Verlust einen Namen haben: Jürgen Trittin.