Bastian Schweinsteiger, David Beckham oder Andrea Pirlo – viele altgediente Fußballstars wechselten in den vergangenen Jahren in die USA, um dort ihre Karrieren ausklingen zu lassen. Solch große Namen sucht man beim amtierenden Meister Atlanta United vergebens – was machen sie in Georgia anders als im Rest der MLS?

Sindelfingen - Mit einem freundschaftlichen Klaps empfängt Tony Annan seine Spieler nach dem Sprung über die Bande und schickt die nächsten Fünf aufs Spielfeld. Noch sieht es gut aus für seine Jungs im Spiel um Platz sieben beim Mercedes-Juniorcup im Sindelfinger Glaspalst – Atlanta United führt zur Pause mit 1:0 gegen Hertha BSC. Sechs Punkte hatten die US-Amerikaner davor gesammelt – genauso viele wie der VfB Stuttgart. Eine ansprechende Leistung für die Premiere beim Hallenfußball.

 

Am Ende setzt sich doch der Vorjahressieger aus Berlin mit 3:2 durch. „Kein Problem, es war für die Jungs ein tolles Erlebnis, vor 4000 Zuschauern gegen renommierte europäische Clubs zu spielen“, sagt Annan. Der 44-Jährige ist nicht nur der Coach des Teams, sondern auch Direktor der Nachwuchsakademie von Atlanta United und damit für eines der spannendsten Fußballprojekte in den USA verantwortlich.

Bereits im zweiten Jahr holen die Profis den Titel

2016 hatte der Engländer die Akademie mit aufgebaut. Ein Jahr später startete die Profimannschaft erstmals in der Major League Soccer (MLS) und holte in diesem Jahr prompt die Meisterschaft. Atlanta stand Kopf nachdem nach über 20 Jahren endlich wieder ein Titel in einer bedeutsamen Sportart in die sieben Millionen Einwohner Metropole wanderte.

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„Wir haben sehr leidenschaftliche Fans aus allen Schichten und bei fünf Spielen waren sogar 70 000 Zuschauer da“, sagt Annan. Der Hunger auf Fußball scheint ausgeprägt: Im Schnitt verfolgten 54000 Anhänger die Spiele im Mercedes-Benz-Stadium. Vereinsbesitzer ist Milliardär Arthur Blank, Gründer einer Baumarktkette, Sportfan und zudem Inhaber der Atlanta Falcons, einem Football-Club aus der NFL. Der 76-Jährige setzt bei United auf eine Philosophie, die so gar nicht zum US-Fußallzirkus mit alternden Stars aus Europa passt. Große Fußballernamen sucht man im Kader vergeblich: Keiner verdient mehr als Mittelfeldspieler Miguel Almiron (1,9 Millionen Dollar).

United will ein Ausbildungsverein sein

„Wir setzen auf junge, hungrige Akteure, die andere Wege gehen und sich bei uns für einen Vertrag in einer europäischen Liga empfehlen wollen“, sagt Annan. In dieses Profil passt auch der Deutsche Julian Gressel. Der Franke aus Neustadt an der Aisch, der mit 19 Jahren in die USA ging, um zu studieren und gleichzeitig Uni-Fußball zu spielen, wurde im Draft von Atlanta gewählt. Im Meisterjahr von United zählte er zu den Leistungsträgern des Teams.

Tony Annan hofft, dass „wir vielleicht in zehn Jahren so weit sind, dass auch die MLS für Spieler ein attraktiver Standort sein kann.“ Jürgen Klinsmann, der ehemalige Trainer der Nationalmannschaft der USA, habe die Grundlagen für den Aufschwung geschaffen. „Er hat Strukturen aufgebrochen und geholfen, dass wir jetzt auf diesem Stand sind“, sagt Annan.

Enge Verzahnung zwischen Akademie und Nachwuchs

Seit 24 Jahren lebt der Mann aus Newcastle in den USA. 145 Talente von der U12 bis zur U19 werden in der Akademie betreut. „Ein großer Vorteil liegt darin, dass wir ganz eng mit den Profis arbeiten“, sagt er. So nutzt der Nachwuchs nicht nur die gleichen Trainingsplätze und den Kraftraum – es kommt vor, dass sich Profis und Talente in der Cafeteria treffen.

„Es hat sich viel entwickelt, aber jetzt müssen wir den nächsten Schritt gehen“, sagt der 44-Jährige. Darunter versteht er vor allem die Einrichtung einer professionellen Nachwuchsliga, in der sich die US-Talente ernsthaft messen können. Positiv stimmt Annan auch die Verpflichtung des früheren Oranje-Kapitäns Frank de Boer als Trainer für die Profis. „De Boer ist einer, der an die Jugend glaubt und unsere Philosophie teilt“, sagt Annan.