Der Käse aus der Normandie ist in der ganzen Welt bekannt. Doch seit Jahren herrscht Streit darüber, wann sich ein Käse auch wirklich Camembert nennen darf.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Livarot - Die Fahrt nach Camembert gleicht der Tour durch einen Werbeprospekt. Die enge Straße mäandert bergab durch saftige Wiesen. Auf den Weiden zwischen den niedrigen Hecken grasen Kühe träge in der Herbstsonne. Es die für die Normandie typischen braun oder schwarz gefleckten Rindviecher, die besonders cremige Milch geben. Dann noch eine Kurve und auf der anderen Seite des engen Tales zeigt sich eine Handvoll Häuser, die sich idyllisch an den Hang schmiegen. In der Mitte: die Kirche, das Rathaus und das Maison du Camembert. Die Legende besagt, dass hier die Bäuerin Marie Harel in den Wirren der französischen Revolution im Jahr 1791 den ersten Camembert hergestellt habe. Es scheint sich wenig verändert zu haben seit jenen Tagen.

 

Hinter den Kulissen tobt ein Krieg

Das abgeschiedene Dörfchen präsentiert sich dem unbedarften Betrachter wie ein Paradies, doch der Schein trügt, denn hinter den Kulissen tobt seit Jahren ein regelrechter Krieg. Gekämpft wird um den Namen des Dorfes – wann darf sich ein Käse wirklich Camembert nennen? Es ist eine erbittert geführte Auseinandersetzung, denn es geht um sehr viel Geld.

An vorderster Front stehen die Puristen unter den französischen Käseliebhabern. „Der originale Camembert wird von Hand mit der Schöpfkelle hier in der Normandie hergestellt“, erklärt Anne-Sophie Renault, Sprecherin der Traditionskäserei Graindorge in Livarot, einem Städtchen unweit von Camembert. Das sei nicht nur eine Kunst, sondern auch ein äußerst mühsames Geschäft. Und, fügt die junge Frau hinzu, verwendet werde ausschließlich die Rohmilch jener genügsamen Kühe, die das ganze Jahr über friedlich und zufrieden auf den Weiden der Region grasen.

Was ist ein wahrer Camembert?

Der Gegner ist in den Augen der Traditionalisten eine gesichtslose Käseindustrie, die im Sinne der Profitmaximierung allenfalls einen Brotbelag herstellt, der irgendwie nach Käse schmeckt. Stellvertretend dafür steht für sie Lactalis, einer der größten Molkereikonzerne Europas. Das französische Unternehmen beherrscht mit seiner Marke Président seit Jahren den Camembert-Markt. Was die Rohmilch-Anhänger besonders ärgert ist die Tatsache, dass ihre Gegner in diesem Namenskrieg in den vergangenen Jahren eine kleine Schlacht nach der anderen gewonnen haben.

Genau betrachtet ist der Camembert ein Opfer seines eigenen Erfolges geworden. Erzählt wird, dass der Käse anfangs vor allem in der Normandie und dann auch als Luxusspeise in Paris am Hofe von Kaiser Napoléon III. geschätzt war. Im Ersten Weltkrieg folgte dann der landesweite Durchbruch, als der Käse wegen seiner handlichen und stabilen Spanverpackung den französischen Soldaten als Verpflegung ins Schlachtfeld mitgegeben wurde.

Streit um die Namensrechte

Mit der weltweit steigenden Nachfrage, sprangen natürlich viele Nachahmer auf den fahrenden Zug. Damit stellte sich das erste Problem für die Käsehersteller in der Normandie. „Der Name Camembert ist keine geschützte Bezeichnung“, sagt Anne-Sophie Renault. Doch die Produzenten in Nordfrankreich setzten schließlich durch, dass zumindest der Name „Camembert de Normandie AOP“ als Qualitätssiegel anerkannt wurde.

Wenn es ums Geld geht, kennt der Erfindungsreichtum der Menschen allerdings keine Grenzen. Also begannen Firmen wie Lactalis und andere Großmolkereien Milch aus ganz Frankreich in die Normandie zu transportieren und dort zu verarbeiten. Doch damit nicht genug: sie verwendeten nicht nur Rohmilch, sondern auch pasteurisierte, also zur Abtötung von Mikroorganismen erhitzte Milch. Für wirkliche Gourmets ein Sakrileg. Auf der Verpackung steht dann natürlich trotzdem „Camembert de Normandie“. Das sei eine Täuschung des Verbrauchers, empört sich Véronique Richez-Lerouge. Die Buchautorin ist Gründerin des Vereins „Fromage de Terroirs“ und ist seit Jahren die Galionsfigur im Kampf für die Erhaltung von traditionellen Käsesorten.

Eine Galionsfigur im Kampf um den Camembert

Immer wieder kam es deswegen zu Auseinandersetzungen, denen die zuständige französische Aufsichtsbehörde nun ein Ende setzen will. Also wurde vor einigen Monaten im französischen Senat darüber gestritten und am Ende beschlossen, dass ab dem 1. Januar 2021 die Bezeichnung „Camembert de Normandie“ ganz offiziell auch für das von Véronique Richez-Lerouge als „Industriekäse“ verspottete Endprodukt gelten soll. Beim traditionellen, aus Rohmilch gemachten Camembert darf dann noch zusätzlich das kleine Wörtchen „véritable“ auf das Etikett gedruckt werden. Im Gegenzug verpflichten sich die industriellen Pasteurisierer, mindestens 30 Prozent Milch von normannischen Kühen zu verwenden.

Véronique Richez-Lerouge ist entsetzt. Die Kunden könnten nun nicht mehr auf den ersten Blick zwischen industriell hergestelltem Käse und einem echten Camembert unterscheiden, schreibt sie auf ihrer Facebook-Seite. Durch das Pasteurisieren werde das gesamte Leben in der Milch abgetötet – die Bakterien, die Keime, die Mikroorganismen, alles was den Geschmack erst erzeuge. Am Ende entstehe ein toter und geschmackloser Käse, dem man alles Mögliche zugesetzt werden müsse, um ihn zum Leben zu erwecken.

Véronique Richez-Lerouge hofft, dass sie doch noch zu ihrem Recht kommt und die Bezeichnung „Camembert de Normandie“ auch in Zukunft ausschließlich für Rohmilchkäse benutzt werden darf. Da die Auseinandersetzung in Frankreich verloren scheint, hofft sie auf die zuständigen Instanzen in der Europäische Union. Also wird sie in Brüssel weiterkämpfen – für die Normandie, für die Tradition, für den guten Geschmack.