Auch in Italien sterben Kinos. Allein in Rom verschwanden dutzende Lichtspielhäuser seit 2005. Aber wenn Twens Filme lieber in alten Kinos sehen als über moderne Streamingdienste, kann ein zäher Kampf entstehen. Ein Erfolg naht.

Rom - Wer in Italien hoch hinaus will, der träumt von Amerika: Diese alte Redewendung stammt aus der Zeit, als viele arme Italiener auf der Suche nach einem besseren Leben den Atlantik überquerten. Heutzutage hat eine Gruppe zwanzigjähriger und älterer Römer ihr neues Amerika näher an ihrem Zuhause gefunden, im Viertel Trastevere. In dem einstigen Arbeiterviertel, heutzutage ein schicker Bezirk, steht das „Cinema America“ leer und mit Brettern vernagelt. Genau dieses Lichtspielhaus will die Gruppe retten. Und weil Nomen Omen ist, nennt sie sich nach dem Kino „I ragazzi del Cinema America“ - also: Die Jungs vom Kino America.

 

2012 besetzten die Kinoliebhaber das Gebäude. Damit wollten sie Pläne durchkreuzen, die dort Luxuswohnungen vorsahen. Sieben Jahre später steht das Haus noch, allerdings ist seine Zukunft ungewiss. Dafür gewann die Gruppe den Zuschlag für ein anderes der aufgegebenen Kinos in Trastevere. Das „Cinema Troisi“, das sich in einem Bau aus den 1930er Jahren befindet und seit 2013 geschlossen ist, soll für 1,4 Millionen Euro saniert werden. Ende 2020 soll dann dort der Vorhang wieder hochgehen.

Ein Akt des Widerstands

„Das ist zweifellos ein Akt des Widerstandes, wie alles, das wir bisher gemacht haben“, sagt Valerio Carocci, der Leiter der Gruppe. „Kinos können im Zeitalter von Netflix überleben.“ Allerdings ist es ein kühner Plan, dem Cinema Troisi neues Leben einzuhauchen: Schon bevor Streamingdienste populär wurden, sank die Zahl der Kinogänger in Rom beständig. Mehr als 45 Kinohäuser mussten in Italiens Hauptstadt seit 2005 schließen. Aber Carocci und seine Mitstreiter schreckt dies nicht ab.

Ihre Idee ist es, ein 300 Sitze zählendes unabhängiges Kino auf die Beine zu stellen, das Filme zeigt, „die Du nicht woanders finden kannst“, sagt Carocci. Dazu komme eine Nachbarschaftsbibliothek, die sieben Tage rund um die Uhr geöffnet sein solle. Die 1,4 Millionen Euro werden sowohl von der öffentlichen Hand wie auch von privaten Sponsoren und zum kleineren Teil aus einem Crowdfunding stammen.

Produziert vom Feind Netflix

Vorbild für ein solches unabhängiges Kino ist die wachsende Zahl ähnlicher Häuser in anderen italienischen und europäischen Städten – das „Il Cinemino“ in Mailand zum Beispiel. Das 2018 eröffnete Kino hat 74 Sitze und steht nur Mitgliedern offen. Eine Bar und eine Kulturecke für Ausstellungen, Lesungen und Lektüre runden das Ambiente ab. Einer der Streifen im Dezember ist „Marriage Story“. Der von Kritikern gelobte Film aus diesem Jahr war von den großen Verleihern in Italien boykottiert worden, weil ihn ein „Feind“ produziert habe - Netflix.

„Ich habe keine Zweifel daran, dass Nachbarschaftskinos überleben werden“, sagt Agata De Laurentiis, eine der Gründerinnen des Kinos. Doch sei es heutzutage nötig, dass die Häuser ihr Zielpublikum umgarnten. „Es ist nicht mehr genug, die Leute in einen dunklen Raum zu lassen und dann „Start“ und „Stopp“ zu drücken“, sagt sie. Auch Carocci hat sich bereits in der europäischen Szene umgehört, um von den Erfahrungen zu lernen. „Wir haben gesehen, dass es möglich ist, wirtschaftlich rentabel zu sein“, bilanziert er. „Der Schlüssel liegt darin, ein kulturelles und soziales Umfeld um dein Kino herum aufzubauen.“

Eine Bank als Sponsor

Er und die anderen Mitglieder der Gruppe tauchten nach der Besetzung des „Cinema America“ 2012 nach und nach aus dem Untergrund auf und gewannen immer mehr Anerkennung. So riefen sie 2015 mit Hilfe namhafter Sponsoren wie der Bank BNL ein kostenloses und jährlich stattfindendes Open-Air-Sommerfilmfestival ins Leben. Dort zeigten sich bereits Stars wie der Filmkomponist Ennio Morricone oder der Schauspieler Jeremy Irons.

„Unser Verband gehört keiner Partei an, aber glaubt an einige wenige Grundsätze“, sagt Carocci. Dazu gehörten die Ablehnung von Faschismus, Rassismus und Sexismus und das Befürworten von Inklusion sowie Solidarität. Der 28-Jährige ist zum Liebling der italienischen Linken geworden. Druck seitens der Medien handhabt er bereits wie ein Politiker. Erste sagen ihm schon eine politische Karriere voraus. Doch Carocci lässt dies kalt: Solange noch nicht das Cinema Troisi eröffnet und das erste Ticket verkauft sei, „kann ich nicht darüber nachdenken, was ich als Nächstes mache“.