Um die Vermüllung in der Stadt zu reduzieren, will die Stadt als erste Kommune Deutschlands mit einer Abgabe die Flut von Einwegverpackungen eindämmen. Ein Rechtsgutachten bestätigt die Verwaltung in ihrem Vorstoß.

Tübingen - Wegwerf-Kaffeebecher, Pizzakartons, Plastikteller zum Mitnehmen zuhauf: Tübingen möchte gegen die zunehmende Vermüllung des öffentlichen Raumes vorgehen und als erste deutsche Stadt eine Steuer von 50 Cent auf Einwegverpackungen einführen. Der grüne Oberbürgermeister Boris Palmer geht fest davon aus, dass die neue Steuer kommt, sie soll zu Jahresbeginn 2021 in Kraft treten. Ein von der Verwaltung in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten, das jetzt vorliegt, habe im Grundsatz die Position der Stadt bekräftigt. „Indem wir die Produktion von Müll teurer machen, beseitigen wir finanzielle Fehlanreize“, sagt Palmer. Er rechnet mit Einnahmen von bis zu einer Million Euro im Jahr.

 

Der Verwaltungsausschuss hat am Donnerstagabend kontrovers über die Einwegabgabe debattiert. Zu einer Empfehlung für den Gemeinderat kam es nicht, das Thema wurde zurückverwiesen in die Fraktionen, wo es noch Besprechungsbedarf gibt. Von der SPD-Fraktion kam die Forderung, einen Deckel von 1,50 Euro pro Mahlzeit festzulegen. „Die Einführung eines Höchststeuersatzes ist ein Instrument, um die Sozialverträglichkeit im Einzelfall zu gewährleisten“, heißt es in einem entsprechenden Antrag. In einer Woche hat der Gemeinderat das letzte Wort. Die Mehrheit für das Vorhaben scheint sicher zu sein. Einen Grundsatzbeschluss für die Abgabe gibt es schon lange, allerdings wird noch an der Satzung gefeilt, um sie juristisch möglichst wasserdicht zu machen.

Kassel hatte die Steuer 1992 eingeführt, sie wurde höchstrichterlich 1998 kassiert

Ein Vorbild für die Steuer gibt es in Hessen: Dort hatte Kassel bereits 1992 genug vom Einwegmüll und wollte gezielt auf Mehrweg setzen. Viele Kommunen in Deutschland hatten angekündigt, dem Beispiel folgen zu wollen, sobald Rechtssicherheit herrsche. Doch die Klage zweier Automatenhersteller und von McDonald’s bremste das umweltbewusste Rathaus aus. Die Verpackungssteuer wurde vom Bundesverfassungsgericht 1998 wieder kassiert – sie stünde im Widerspruch mit dem Abfallrecht des Bundes. Für Kassels damaligen Bürgermeister, Ingo Groß, ein großer Fehler. „Es ist bedauerlich, dass Karlsruhe den positiven Ansatz zur ökologischen Steuer nicht bestätigt hat“, sagte er nach dem höchstrichterlichen Spruch.

Tübingen wagt nun einen neuen Anlauf und bekommt ebenfalls Gegenwind. Die Steuer sei existenzbedrohend, sagen die Betreiber etlicher Imbissbuden und Cafés, Metzgereien und Tankstellen, die künftig die Steuer zahlen sollen. Rund 30 Unternehmen haben sich in der Initiative für ein sauberes Tübingen und gegen eine Verpackungssteuer zusammengetan und sich anwaltlich beraten lassen. Ein von der Kanzlei Dr. Kroll & Partner erstelltes Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die Steuer rechtswidrig sei und der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim sie eines Tages stoppen werde. Über einen Normenkontrollantrag könnte dies geklärt werden, schlagen die Juristen vor.

Gegen eine Steuer spricht sich auch die Industrie- und Handelskammer Reutlingen aus. Der Vizepräsident Hans-Ernst Maute hält nichts von dem Alleingang der Universitätsstadt. „Es gibt in Tübingen an einigen Stellen ein Problem mit zu vollen Mülleimern. Das löst man aber nicht über eine Verpackungssteuer.“ Sinnvoller sei es, Pfand- und Mehrwegsysteme auszubauen.

OB Palmer will die Wegwerfkultur am liebsten ganz abschaffen

Für Oberbürgermeister Palmer ist klar, dass Klagen folgen werden, doch das Abfallrecht habe sich seit der Kasseler Niederlage erheblich geändert. Auch die Umsetzung der Abfallrahmenrichtlinie der Europäischen Union werde den Tübinger Weg nicht überflüssig machen, ist er sicher. Etliche Einweg-Plastikprodukte sollen von 2021 an vom Markt genommen werden. „Ich freue mich über alles, was aus Berlin kommt“, sagt Palmer, aber die Verbote zielten lediglich auf ein bestimmtes Kunststoffsegment. Die Wegwerfkultur insgesamt will der OB am liebsten abschaffen, denn die Kosten der Vermüllung habe die Allgemeinheit zu tragen. Für das Leeren der Abfalleimer und die Entsorgung des öffentlichen Mülls werde in Tübingen jährlich mehr als eine Million Euro ausgegeben – zu viel, bemängelt Palmer.

Schon etliche Kommunen im Land hätten sich für die Satzung interessiert, bestätigt der Oberbürgermeister. Rückendeckung für das Ökoinstrument kommt vom baden-württembergischen Städtetag. „Der Städtetag begrüßt den Tübinger Vorstoß als mutigen Versuch, die unsägliche Verpackungsflut einzudämmen“, betont Gudrun Heute-Bluhm, geschäftsführendes Vorstandsmitglied. Tübingen betrete einmal mehr rechtliches Neuland mit dieser kommunalen Steuer. „Es ist zu hoffen, dass die kommunale Kompetenz hierfür bestätigt wird und damit ein Signal auch an die Verbraucher ergeht, auf Einwegverpackungen zu verzichten.“ Auf Bundesebene sei das bisher nicht gelungen.