In Kanada meldet sich bei der Polizei ein Mann, der als tot galt, ertrunken in den Niagarafällen. Offenbar hatte er nach einem Unfall sein Gedächtnis verloren. Nach 30 Jahren kehrte plötzlich seine Erinnerung wieder.

Ontario - Seine Mutter hatte sich längst damit abgefunden, dass ihr Sohn nicht mehr lebt. Dreißig Jahre lang war der Kanadier Edgar Latulip verschollen. Nun tauchte der heute 50 Jahre alte Mann, der vermutlich aufgrund eines Unfalls sein Erinnerungsvermögen verloren hatte, bei einer Polizeistation auf und gab Hinweise, die zur Aufklärung seiner Identität und Herkunft führten.   Schauplatz des mysteriösen Falls ist die Niagara-Region in der Provinz Ontario, wo Edgar Latulip lebt.

 

Seine 76 Jahre alte Mutter Sylvia Wilson wohnt in Ottawa. Sie war davon ausgegangen, dass sich ihr unter psychischen Problemen leidender Sohn damals, als er verschwand, selbst getötet hatte. Am vergangenen Freitag erhielt sie einen Anruf der Polizei aus der Niagara-Region. „Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Es hat mich umgehauen“, erzählt sie der Lokalzeitung   „Waterloo Region Record“.

Edgar litt seit früher Kindheit an seelischen Erkrankungen

 Die Geschichte des Edgar Latulip, sein Verschwinden und Wiederauftauchen, lässt noch viele Fragen offen. Es ist die Geschichte eines jungen Mannes, der seit früher Kindheit an seelischen Erkrankungen litt, in mehreren psychiatrischen Einrichtungen und Krankenhäusern und in Wohngruppen lebte und dessen Kontakte zu seiner Familie, die offenbar mit dem psychisch kranken Kind nicht zurecht kam, weitgehend abbrachen.

Seine Mutter ist auch jetzt offenbar die einzige, die wieder den Kontakt zu ihm aufnehmen will, berichtet der „Record“.   Die Berichte dieser Zeitung, gestützt auf Polizeiinformationen und ein Gespräch mit Latulips Mutter, ergeben folgendes Bild: Schon in seiner frühen Kindheit machte sich seine Mutter Sorgen. „Er war hyperaktiv und unkontrollierbar“, erzählt sie. Ein Kinderkrankenhaus in Montreal war die erste Einrichtung, die ihn behandelte und „antipsychotische Medikamente“ verordnete, wie es heißt. Im Laufe der Jahre wurde er in  verschiedenen Kliniken behandelt, darunter auch im Royal Hospital in Ottawa.

An den Niagara-Fällen endeten seine Spuren

Letztmals sah seine Mutter ihn im Krankenhaus von Kitchener, wo er nach einem Suizidversuch betreut wurde. In Kitchener lebte Latulip in einer Wohngruppe, bis er eines Tages verschwand. Er fuhr, wie hinterher festgestellt wurde, mit einem Bus zu den Niagara-Fällen. Dort enden seine Spuren.   Seine Angehörigen vermuteten, dass er Suizid beging.

Jetzt stellt sich heraus, dass er nach St. Catherines ging und dort vermutlich einen Unfall hatte, bei dem er schwere Kopfverletzungen erlitt und als Folge sein Wissen über seine Identität verlor. Fast dreißig Jahre lebte er unter einem anderen Namen, den die Polizei nicht veröffentlicht, in der Niagara-Region. Informationen darüber, was er in dieser Zeit machte, gibt die Polizei i ebenfalls nicht. „Er lebte unabhängig“, erklärte Polizeisprecher Philip Gavin. Er sei zeitweise obdachlos gewesen oder habe von Sozialhilfe gelebt.

Ein DNA-Abgleich brachte Gewissheit

Um die Jahreswende 2015/2016 kamen dann anscheinend Teile seines Erinnerungsvermögens zurück. Einem Sozialarbeiter sagte er, er glaube, dass er einen anderen Namen habe – und nannte „Edgar Latulip“. Das genügte, um über die kanadische Datei der vermissten Personen auf ihn zu stoßen. Ein DNA-Abgleich brachte Gewissheit, denn die DNA seiner Mutter lag der Polizei bereits vor. Die Polizei hat laut Gavin keinen Grund zu glauben, dass Latulip seine wahre Identität schon früher kannte und sich versteckt hielt.  

Nun soll Edgar Latulip wieder mit seiner Mutter vereint werden. „Ich möchte mit ihm sprechen und ihm helfen so weit ich es kann. Ich möchte ihn sehen“, wird sie zitiert. Latulips Vater starb im Jahr 2000. Die psychische Erkrankung ihres Sohnes, das älteste ihrer Kinder, belastete sie und ihre ganze Familie. Polizeisprecher Philip Gavin will sein Erstaunen nicht verbergen. „Das ist etwas völlig Neues für mich. So etwas habe ich noch nie zuvor erlebt.“