Im Stuttgarter Theater Rampe hat „Karl und Rosa“, Felicia Zellers Bühnenfassung von Alfred Döblins Epos über die Novemberrevolution, Stuttgart-Premiere gehabt.

Stuttgart - Draußen marschieren die lebenden Toten, dahinter lassen alte Filme die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs auferstehen. Drinnen im Frauengefängnis Breslau schwankt Rosa Luxemburg zwischen Raserei und Verzweiflung. Eingezwängt in Schachtgittern, heimgesucht vom Geist ihres gefallenen Geliebten „Hannes“ Düsterberg alias Hans Diefenbach zischt die Revolutionärin, Ikone der deutschen Arbeiterbewegung, bitter: „Wie eine fette Bürgersfrau sitze ich in der Zelle.“ Es ist Januar 1919. Sie will zu den Genossen, zu Karl Liebknecht, der am 9. November 1918 vor dem Berliner Schloss die „freie sozialistische Republik“ ausrief, der mit ihr zwei Tage danach den Spartakusbund der marxistischen Sozialisten gründete, den Nachfolger der Gruppe International, um die internationale Revolution des Proletariats voranzutreiben, Imperialismus, Kapitalismus und Militarismus den Garaus zu machen.

 

Die Ereignisse zwischen dem 10. November 1918 und dem 15. Januar 1919, die Novemberrevolution, in der die Monarchie stürzte und der die Weimarer Republik folgte, aber die sozialen Verhältnisse blieben, analysierte der Schriftsteller Alfred Döblin in seinem Vierbänder „November 1918. Eine deutsche Revolution“. Der Psychiater und Militärarzt sezierte den „Patient Deutschland“ ungeschönt, faktisch, dramatisch und galgenhumorig. Im letzten Teil geht es um Rosa Luxemburg, die wie Liebknecht vor 100 Jahren am 15. Januar 1919 ermordet wurde. Daher besorgte Autorin Felicia Zeller für die Theater Magdeburg und Theater Rampe Stuttgart eine Bühnenfassung Döblins: Uraufgeführt im Februar in Magdeburg, hatte nun „Karl und Rosa. Für Geister Eintritt frei“ seine Stuttgart-Premiere, inszeniert von Marie Bues.

Döblin spiegelt die Gesellschaft in mehreren Handlungssträngen

Doch wie den aufrührerischen Taumel der sich überschlagenden Ereignisse fassen, in denen verschiedenste Kräfte um die Herrschaft rangen – etwa irreguläre rechtsgerichtete Freikorps-Truppen gegen die Spartakisten; in denen gleich zwei Mal die Republik ausgerufen wurde, neben Liebknecht auch vom SPD-Mann Philipp Scheidemann. Döblin legte viele Handlungsstränge an, um einen Querschnitt der damaligen Gesellschaft und den Verhältnissen abzubilden.

Entsprechend viel und schnell wird in der Rampe geredet, aber nicht wirklich miteinander. Jeder bleibt in seiner Blase. Gegen den Krieg und die Regierung wird skandiert, in Mono- und Dialogen werden Selbstzweifel, Ränkespiele, Verrat, Entfremdung wiederholt. Karl propagiert heroisch den Straßenkampf, Rosa sinniert über die Erziehung der Massen. Andere Genossen finden Gefallen am Amt, Friedrich Ebert holt sich Hilfe bei der alten Macht. Die fünf Akteure müssen in verschiedene Rollen schlüpfen, sind die aufständischen Matrosen aus Kiel, die Politiker Ebert, Scheidemann, Haase & Co, die Massen, die diskutierenden SPDler, stets das schlichte Bühnenbild aus verschiebbaren Gittern anpassend, die Lage mit revolutionären Kampfliedern oder Queens „Who wants to live forever“ auflockernd. Unter dem Gitter liegend wird berichtet, sich bei den „News“ filmend, bis Schicht im Schacht ist.

Björn Jacobsen, Marian Kindermann, Marie Ulbricht, Monika Wiedemer und Niko Eleftheriadis – letztere als Rosa und Karl – spielen, als ginge es auch um ihr Leben. Das reißt mit. Gut so, denn der Mix aus Rückblenden und Fragmenten, ein komplexer Sog aus Fakten, Gedanken und Zitaten, fordert, mutet mitunter lang an. Indes: Geschichte ist nur multiperspektivisch zu begreifen, die Basis, um manch’ alte Geister abzuwehren und von anderen zu lernen.

Termine: bis 8. November und vom 26. bis 29. Februar 2020 jeweils 20 Uhr.