Aus einem Waisenhaus wurde ein Diakoniezentrum: Die Karlshöhe hat sich seit ihren Anfängen im Jahr 1876 stetig weiterentwickelt. Was hat es mit der Historie der Einrichtung auf sich?

Ludwigsburg - Kleinere Gruppen pro Zimmer oder Haus, ein familienähnliches Zusammenleben und eine angemessene Schulbildung: das 1876 erbaute Kinderheim auf der Karlshöhe in Ludwigsburg sollte ein Neuanfang für viele verwaiste, arme oder uneheliche Kinder aus Ludwigsburg werden. Bis heute unterstützen die Mitarbeiter der Karlshöhe Ludwigsburg junge und ältere Menschen dabei, ein würdiges und selbstbestimmtes Leben zu führen. Begonnen hat alles Ende des 19. Jahrhunderts mit einer Idee und acht Neubauten im norddeutschen Stil.

 

In jener Zeit sollte das Ludwigsburger Kinderheim Mathildenstift geschlossen werden und eine neue Lösung musste her. In dem Heim waren damals nicht nur Waisen untergebracht, sondern auch uneheliche Kinder oder Jungen und Mädchen aus kinderreichen Familien. „Damals war es in der Stadt schwieriger, Kinder zu ernähren als auf dem Land“, sagt Linda Rücker von der Presseabteilung der Karlshöhe. Man habe die Kinder dann ins Waisenhaus gegeben, wo gesichert gewesen sei, dass sie ein Dach über dem Kopf hatten und ernährt wurden.

Eine Gruppe Stuttgarter und Ludwigsburger befasste sich damit, wie ein neues Heim für die rund 50 Kinder aussehen könnte und sammelte Spenden dafür.

Das Vorbild steht in Hamburg

Als Vorbild sollte das Rauhe Haus in Hamburg dienen, eine Einrichtung des Sozialpädagogen und Theologen Johann Hinrich Wichern. „Die Initiatoren wollten die Struktur des Heims anders aufziehen, weg von dem Gedanken, den Kindern nur Nahrung und ein Dach über dem Kopf zu bieten“, sagt Michael Handrick, der Pressesprecher der Karlshöhe. Darum habe man das Konzept von Wichern für passend gefunden: Dieser vertrat die Meinung, dass man die Kinder in kleinere Gruppen einteilen und ihnen eine Schulbildung ermöglichen sollte.

Zwölf Kinder pro Gruppe, getrennt nach Jungen und Mädchen, sollten zusammen mit einem Diakon als eine Art Familie leben – mit dem Diakon als Familienoberhaupt, so die Idee. Gleichzeitig wurden die Diakone, die die Kinder betreuen sollten, vor Ort ausgebildet. Sie wurden unter anderem in Erziehungsfragen geschult und darin, wie man die Kinder erstversorgt, etwa einen Verband anlegt. Und sie wurden in Theologie unterrichtet. „Schließlich sollten auch die Kinder im Glauben gestärkt werden“, so die Idee der Diakonie, sagt Handrick.

Das Gelände für den Neubau erhielten die Initiatoren von Königin Olga und König Karl zur Verfügung gestellt. „Daher der Name Karlshöhe“, erklärt Handrick. Doch wegen der Lage am Ende des Schlossparks gab es auch Bedenken bei den Ludwigsburgern: „Der Salonwald war ein Vergnügungswald und verrufen“, sagt Handrick. Soldaten und Frauen hätten den Wald „für besondere Dinge“ aufgesucht. Daher sorgten sich einige Bürger, dass die Jugendlichen und die Diakone auf der Karlshöhe verdorben werden könnten. Gebaut wurde trotzdem dort.

Vier Gebäude bilden heute das Herzstück

Vier der ursprünglichen acht Gebäude der Karlshöhe, die im Backsteinstil errichtet wurden, stehen heute noch: Das Wasch- und Backhaus, das Mädchenhaus, ein Kinderhaus und das Alte Schulhaus. Im ehemaligen Waschhaus werde heute noch gewaschen, dort befindet sich die hauswirtschaftliche Abteilung. „Die Karlshöhe bildet auch in Hauswirtschaft aus. Der Unterricht findet im Wasch- und Backhaus statt“, sagt Handrick. 1400 bis 1600 Essen werden hier für Kitas und die Evangelische Hochschule gekocht. Außerdem werden Alten- und Behindertenheim versorgt. „Und jeder Hilfebereich hat seine eigene Hauswirtschafterin.“

Im alten Schulhaus ist heute die Öffentlichkeitsarbeit untergebracht, im ehemaligen Mädchenhaus wohnen Studierende der Evangelischen Hochschule in Wohngemeinschaften. „Die vier Gebäude sind heute das Herzstück der Karlshöhe“, sagt Pressesprecher Handrick. Daher finde etwa auch der alljährliche Weihnachtsmarkt auf dem Platz in der Mitte der vier Häuser statt.

Die Karlshöhe ist heute eine von 30 000 Einrichtungen der Diakonie in Deutschland. Nach wie vor spiele die Jugendhilfe eine wichtige Rolle, sagt Handrick. 180 bis 200 Kinder und Jugendliche werden von den Sozialarbeitern der Karlshöhe betreut, vor Ort oder in den Familien. Nach und nach sind jedoch auch andere Arbeitsbereiche dazu gekommen. Bereits 1879 sind die ersten älteren Menschen auf die Karlshöhe gezogen. Das Altenhaus diente als eine Art Krankenhaus.

Neue Arbeitsfelder kommen hinzu

Mittlerweile werden auf der Karlshöhe unter anderem Menschen mit körperlichen Einschränkungen ausgebildet, es gibt Einrichtungen für Menschen mit psychischen Problemen und mit Alkoholproblemen, therapeutisches Reiten und therapeutische Holzwerkstätten. Man habe immer ein neues Arbeitsfeld gesucht und gefunden und die Karlshöhe auf diese Weise erweitert, sagt Handrick. Mit Schulen, Wohngruppen, Werkstätten und mehreren kleinen Läden sei die Karlshöhe heute „wie ein kleines Dorf am Rande der Stadt“.