Es ist Katholikentag – und immer weniger gehen hin. Was bleibt da noch, als auf bessere Zeiten zu hoffen.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Vom 25. bis 29. Mai ist Kuscheltime in Stuttgart. Zeit für den 102. Katholikentag. Eine fromme Wohlfühloase, bei der sich alle super verstehen und am Harmoniebrei laben. Natürlich sollen von Stuttgart auch Signale der Erneuerung und des Wandels ausgehen. Denn: Die Zeit ist reif für solche Signale.

 

Katholische Kirche auf schmalem Grat

Deutschlands knapp 22 Millionen Katholiken bewegen sich auf einem „schmalen Grat zwischen Abgrund und Aufbruch“, wie Irme Stetter-Karp, die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), ganz zu Recht feststellt. Wobei die Waage schon seit Längerem in Richtung Abgrund kippt. Daran werden auch geistliche Happenings und wohlfeile Promireden, selbstkritische Diskussionen und zerknirschte Schuldeingeständnisse wenig ändern.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Katholikentag in Stuttgart – Katholikentag ist kein Kirchentag

Erinnerung an bessere Zeiten

Erinnern wir uns kurz an bessere, hoffnungsvollere Zeiten – als die Kirche noch nicht zermürbt und gebeugt war von endlosen Debatten um sexuellen Missbrauch, Massenaustritten, bischöflichem Führungsversagen und inhaltlicher Orientierungslosigkeit.

„Eine Kirche, die sich erneuern will, muß wissen, wer sie ist und wohin sie zielt.“ Mit diesem programmatischen Satz beginnt das wichtigste und tiefsinnigste Dokument der Würzburger Synode: „Unsere Hoffnung. Ein Bekenntnis zum Glauben in dieser Zeit“.

Lebendiger Wandel

Von 1971 bis 1975 versammelten sich im Würzburger Dom Laienvertreter, Theologen und Bischöfe, um über die Lage der deutschen Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) zu beraten. Die Ergebnisse der Synode wurden in 18 Beschlüssen und sechs Arbeitspapieren festgehalten – darunter auch der Beschluss „Unsere Hoffnung“.

Die Synodalen versuchten damals, den Graben zwischen der Welt des Glaubens und des Alltags zu überwinden. Alte Glaubensformeln wurden mit der gesellschaftlichen Realität konfrontiert, verknüpft und neu formuliert. „Nichts fordert so viel Treue wie lebendiger Wandel“, lautete die damalige Selbstverpflichtung.

Aderlass in der Kirche

Und was ist heute von dieser Hoffnung auf Wandel und Erneuerung geblieben? Die Kirchenbindung in Deutschland erodiert, das Glaubensleben erlahmt, das christliche Profil in der Gesellschaft verblasst – was folgende Zahl illustriert: Laut Deutscher Bischofskonferenz besuchen nur noch 5,9 Prozent der Katholiken regelmäßig einen Sonntagsgottesdienst.

Was die Kirche dringender denn je braucht, ist ein Neuanfang und kein Neuaufguss alter Lehren. Ein Perspektivwechsel hin auf die mehr als 90 Prozent der Kirchenmitglieder, die nie oder nur noch selten in einen Gottesdienst gehen, vom christlichen Glauben immer weniger wissen und (noch) nicht ausgetreten sind. Ihnen muss sich die Kirche zuwenden.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Kirchenaustritte – Irgendwie gläubig – aber nicht mehr christlich

Aufbruch oder Abbruch?

Niemand verlangt, dass ganze Bastionen geschleift werden. Aber könnte man nicht damit beginnen, die ersten Steine aus dem „abbröckelnden Gemäuer“ herauszubrechen?

Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage haben nur noch zwölf Prozent der Bundesbürger „großes“ Vertrauen zur katholischen Kirche (evangelische Kirche: 33 Prozent). Vor fünf Jahren waren es noch 28 Prozent.

Auch der 102. Katholikentag steht ganz im Zeichen dieses drastischen numerischen Schwundes: Zur fünftägigen spirituellen Auszeit am Neckar erwarten die Veranstalter 20 000 bis 30 000 Teilnehmer. Beim letzten Großtreffen 2018 in Münster waren es noch fast 90 000 Gläubige.

Segen oder Enttäuschung?

ZdK-Präsidentin Stetter-Karp gibt sich dennoch optimistisch: Angesichts „der Krise in unserer Kirche“ sei diese Teilnehmerzahl immer noch ein „Segen“ und keineswegs eine „Enttäuschung“.

Man kann diesen dramatischen Rück- und Niedergang auch weniger euphemistisch formulieren: Die Verkünder der Frohen Botschaft müssen inzwischen froh sein über jeden, der mal vorbeischaut und mitfeiert.

Politik