Künftige Entschädigungen orientieren sich an Schmerzensgeld-Entscheidungen staatlicher Gerichte und bleiben weit hinter den Vorschlägen von Experten zurück.

München - Es war ganz offensichtlich eine schwere Geburt, und dass sie überhaupt gelingen würde, stand noch vor wenigen Tagen gar nicht fest: Bei ihrer Frühjahrsvollversammlung in Mainz haben die katholischen Bischöfe Deutschlands neue Grundsätze zur Entschädigung von kirchlichen Missbrauchsopfern beschlossen. Fertig ist das Konzept noch nicht; das soll im Herbst der Fall sein.

 

In der Erklärung der Bischöfe heißt es, man zeige damit, „dass die Kirche gegenüber den Betroffenen Verantwortung wahrnimmt.“ Man stelle „die Weichen für eine höhere Sensibilität gegenüber Betroffenen“ und verpflichte sich „zu größerer Einheitlichkeit, Verbindlichkeit und höheren Leistungen.“ Dass allerdings von einer „Entschädigung im umfassenden Sinne“ nicht gesprochen werden kann, gibt selbst der für Missbrauchsfragen zuständige Bischof zu, Stephan Ackermann aus Trier. Und Matthias Katsch als der führende Sprecher kirchlicher Opfer formuliert es aus einer Perspektive noch stärker: „Das ist keine Entschädigung und kein Ausgleich für die Verbrechen der Institution Kirche.“

Entschädigung steigen von 5000 auf 50 000 Euro

In den vergangenen neun Jahren hat die katholische Kirche in Deutschland auf die Anträge von etwa 2200 Opfern hin insgesamt 10,3 Millionen Euro „in Anerkennung zugefügten Leids“ gezahlt; das sind etwa 5000 Euro pro Person. Hinzu kamen und kommen weiterhin fallweise die Erstattung für Psychotherapie und Paartherapie.

Künftig sollen im Regelfall bis zu 50 000 Euro bezahlt werden. Bischof Ackermann sagte, man orientiere sich damit an den einschlägigen Schmerzensgeld-Urteilen staatlicher Gerichte, bleibe aber in deren bei 5000 Euro beginnendem Korridor bewusst im „oberen Bereich“. Von Gewalt betroffene Heimkinder bekämen als Entschädigung im Vergleich nur etwa 14 000 Euro. Der für Missbrauchsfragen zuständige Bischof fügte hinzu: „Ich glaube schon, dass wir eine Marke setzen im Sinne einer anderen Großzügigkeit.“ Noch im September vergangenen Jahres hatte Ackermann die staatlich-gerichtlichen Summen als „beschämend“ bezeichnet.

Die neuen Summen bleiben weit hinter den 300 000 oder gar 400 000 Euro pro Fall zurück, die eine unabhängige Expertengruppe den Bischöfen im vergangenen Jahr empfohlen hatte. Gegen die Höhe dieser Beträge gab es fast eine Revolte unter den Bischöfen und den Ordensgemeinschaften. Opfer-Sprecher Katsch sagte am Donnerstag denn auch gegenüber der Deutschen Presseagentur, in der Bischofskonferenz habe sich „der kleinste gemeinsame Nenner durchgesetzt“; die Kirche sei offenbar nicht bereit, „für die Folgen dieses Versagens einer Institution im Leben der Menschen einzustehen.“

Kommt das Geld aus der Kirchensteuer?

Nach einer 2018 vorgelegten wissenschaftlichen Untersuchung („MHG-Studie“) sind zwischen 1946 und 2014 mindestens 3677 Kinder und Jugendlichen von 1670 Klerikern sexuell missbraucht worden; die Forscher gehen aber von einem weit größeren „Dunkelfeld“ aus.

Ackermann legt Wert auf die Feststellung, es handle sich um „Anerkennungszahlungen“ zur „Linderung immateriellen Leids.“ Eine formelle Entschädigung würde seiner Erklärung nach voraussetzen, dass Schäden – etwa eine nach Missbrauchserfahrung nicht mehr mögliche Ausbildung oder Berufstätigkeit – detailliert nachgewiesen würden. Der kirchliche Weg sieht statt einer umfassenden Nachweispflicht nun eine einfache „Plausibilitätsprüfung“ vor, die es den Opfern auch erspart, ihre ganze Geschichte neu erzählen zu müssen. Über die Anträge entscheiden und das Geld direkt anweisen soll eine eine zentrale Kommission, die aus Missbrauchs-Experten – etwa Psychologen oder Sozialarbeitern – sowie Medizinern und einem Juristen besteht. Leitende Kirchenvertreter oder Kirchenfinanzverwalter sollen dem Gremium nicht angehören.

Mit dieser für ganz Deutschland zuständigen Stelle sollen nach dem Beschluss der Bischofskonferenz auch Transparenz, Einheitlichkeit und damit auch Verlässlichkeit gegenüber den Opfern hergestellt werden. Für die Summen aufkommen sollen dennoch die einzelnen Diözesen; jede der 27 muss auch für sich entscheiden, woher sie das Geld nimmt: aus der Kirchensteuer oder aus Finanz- oder Grundbesitz. Finanziell schwache Klöster oder Bistümer, etwa im Osten Deutschlands, sollen von einer „solidarischen Komponente“ anderer Einrichtungen aufgefangen werden, die im einzelnen aber auch erst noch ausgehandelt werden muss. Antrag auf höhere Leistungen können auch Personen stellen, die bereits Zahlungen bisheriger Art erhalten haben.