Die lebende Krippe mit echten Tieren vor dem Postmichelbrunnen des Esslinger Weihnachtsmarktes ist verschwunden. Potenzielle Veranstalter fürchten die Proteste von Tierschützern.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Esslingen - Viele werden sie schon vermisst haben, den Esel Otto und seine Schäflein, die mit dem Enzian-Sepp die lebende Krippe am Esslinger Weihnachtsmarkt gebildet haben. Nachdem der Veranstalter Sky pleite gegangen ist, hat der Weihnachtsmarkt am Postmichelbrunnen mit der lebenden Krippe eine Attraktion weniger. Das Stadtmarketing bemühte sich um eine Nachfolge, aber die Anbieter schreckten zurück, vor allem weil sie Proteste von Tierschützern befürchteten, die sich immer wieder bei der Stadt und beim Veranstalter über die zur Schau gestellten Tiere beschwerten.

 

Aus tiermedizinischer Sicht spricht nichts dagegen

Am meisten vermisst aber der Enzian-Sepp alias Wilfried Lips aus dem Esslinger Stadtteil Sirnau die Krippe. Beinahe 25 Jahre stand er alljährlich im Stall, angetan mit Stock und Lederhose, um die Weihnachtsgeschichte in der Fassung von Sebastian Blau vorzulesen. Zur Belohnung bekamen die Kinder Mohrrübenstücke, die sie den Tieren füttern durften. Nur beim Esel Otto mussten sie aufpassen, denn er war dafür bekannt, dass er gern einmal zubiss. Der Enzian-Sepp, dem die Tiere ans Herz gewachsen sind, kümmerte sich damals um sie und sorgte dafür, dass immer genug Wasser oder Stroh da war. Zum Dank stahlen ihm die Schafe die Rüben aus der Tasche oder zupften ihm die Schuhbendel auf.

Aus tiermedizinischer Sicht spricht nichts gegen eine lebende Krippe. Gerhard Jehle vom Veterinäramt bewertet sie wie jede andere Tierschau auch und hat keine Bedenken, wenn die Tiere artgerecht gehalten werden: Es müsse einen Platz geben, wo die Tiere trocken liegen könnten und auf den sie sich zurückziehen könnten, wenn sie des Anblicks von Kindern und Eltern überdrüssig seien. Außerdem müssten die Tiere ausreichend gefüttert und getränkt sowie regelmäßig gemistet werden. Außerdem sollte sichergestellt sein, dass die Tiere kein Q-Fieber auf den Menschen übertragen.

Katze und Ferkel am Weihnachtsmarktstand

Überhaupt muss sich das Veterinäramt einiges von aufgebrachten Tierschützern anhören. Ein regelrechter Shitstorm sei entbrannt, als ein Schausteller eine Katze am Stand hielt. Diese pflegte auf einer Glasplatte zu ruhen, die von einer Kerze beheizt war. Ein andermal ist das Veterinäramt selbst aktiv geworden, weil ein Schausteller ein Ferkel am Stand gehalten hat. Die jüngste Beschwerde, die Gerhard Jehle ins Haus flatterte, betrifft das Mäuseroulette auf dem Mittelaltermarkt, bei dem die Tiere angeblich in entwürdigender Weise zur Schau gestellt werden.

Den Enzian- Sepp gibt es immer noch, er mimt jetzt den Weihnachtsmann und erzählt nur noch auf Anfrage von Christi Geburt. Man kann ihn auf dem Schlitten mit einem Rentier fotografieren. Über das Plüschtier haben sich die Tierschützer noch nicht beschwert.

Glosse: Die Mausewürde ist unantastbar

Auf dem Esslinger Mittelalter- und Weihnachtsmarkt geht es tierisch ab. Das gefällt nicht jedem. Mangels Ochs und Esel haben sich die Tierschützer noch einmal genauer umgeschaut und sind dabei prompt über die Maus gestolpert. Über das fahrbare Mäuseroulette. Das sind Leiterwägele mit einem kleinen, manegenartigen Aufbau. Mit diesem mobilen Glücksspiel ziehen die Gaukler über den Markt. Dem Gewinner winkt eine Glücksmaus aus Stoff. Glücksmaus, das klingt Tierschützern wie Hohn in den Ohren. Glück ist, wenn das Pech die anderen trifft, sagt Horaz. Sagen die Tierschützer.

Beim Mäuseroulette spielen die kleinen Nager eine tragende Rolle. Das Publikum darf seine Mäuse darauf setzen, in welches der im Rund angeordneten Häuschen das Mäuschen entschwindet, nachdem es in der Mitte der Manege ausgesetzt worden ist. In dem unwürdigen Schauspiel sehen Tierschützer die Menschenwürde der Maus gefährdet. Maus und Manege, das geht gar nicht. Sie fordern: Freiheit für die Maus. Das würde jede Katze unterschreiben, wenn sie es denn könnte. Vor ein paar Jahren hat auch einmal das Schicksal eines Stubentigers den Unmut der Tierschützer erregt. Ein Marktbeschicker hatte das Tier mit auf den Esslinger Hafenmarkt gebracht. Katze und Mittelaltermarkt, das geht natürlich auch nicht.

Ein Vorschlag zur Güte: Man setze die Katze in das Mäuseroulette und warte ab, bis sich beide Tiere ihres artgerechten Verhaltens besinnen. Die Katze würde fressen, die Maus würde gefressen. So ist das Leben. Daran kann sich kein Tierschützer stören. Das war im Mittelalter so, das ist auch heute noch so. Aus die Maus.

Es gibt aber auch noch eine andere, mausfreundliche Alternative zum Mäuseroulette. Das Spiel funktioniert auch mit einem umgedrehten Aschenbecher und einer Stubenfliege. Die Muck fangen und dann ein bisschen in der geschlossenen Faust schütteln. Das solchermaßen benommen gemachte Insekt auf den Tisch setzen und den Aschenbecher schnell drüberstülpen. Wer auf die Öffnung gewettet hat, durch das die Fliege ihrem gläsernen Gefängnis entfleucht, hat gewonnen. Und der Tierschutz auch.