Betrugsversuche besonders bei der theoretischen Führerscheinprüfung nehmen zu. Die Methoden ändern sich ständig und zeigen häufig eine hohe kriminelle Energie. In Winnenden zieht der Tüv Süd jetzt Konsequenzen.

Stuttgart - Ein Gewerbegebiet am Ortseingang von Winnenden (Rems-Murr-Kreis). Ein Schnellrestaurant gibt es hier, einen Baumarkt und viele weitere Betriebe. Außerdem ein Hotel in Blickweite der B 14. Und das ist jetzt zum Mittelpunkt eines bisher weit und breit einmaligen Vorgangs geworden. Denn der Tüv Süd nutzt Räume des Hotels für die Abnahme der theoretischen Führerscheinprüfung. Oder besser gesagt: Hat genutzt.

 

Ende März wird Schluss damit. sein. Nach Jahrzehnten wird es dann in Winnenden keine Möglichkeit mehr für die Theorieprüfung geben. Fahrschulen und ihre Schüler müssen nach Fellbach, Backnang oder Schorndorf ausweichen. Das treibt die Fahrlehrer im Umkreis auf die Palme, obwohl der Tüv versichert, an den anderen Standorten die Plätze aufzustocken. In Winnenden vermutet man Sparmaßnahmen als Grund dafür.

Die Begründung, die der Tüv angibt, hat es in sich. „Die Betrugsversuche mittels Hackerangriff haben sich dort seit Mitte 2019 derart gehäuft, dass an verschiedenen Tagen unser internes W-Lan-Prüfer-Netzwerk nicht mehr funktionsfähig war“, sagt Vincenzo Lucà, Sprecher des Tüv Süd in München. Die bauliche Situation der Prüfungsräume im Hotel begünstige das offenbar. Kriminelle kommen dort wohl so dicht heran, dass sie versuchen können, ins Prüfungsnetzwerk einzudringen. Sie wollen für Prüflinge von außen die Fragen beantworten – gut vorbereitet und mit Hightech..

Eine Prüferin wird bedroht

Lucà betont zwar, das System sei so sicher, dass solche Manipulationsversuche fehlschlagen. Doch die „massiven Angriffe mit einer gewissen Sendestärke“ sorgten dafür, dass sich das System verlangsame und zeitweise kollabieren könne. Prüfungen seien dann nicht mehr möglich. „Die Leidtragenden sind die ehrlichen Prüflinge“, so Lucà. Doch er berichtet noch mehr. Denn als Betrüger ertappt worden sind, haben die sich nicht etwa aus dem Staub gemacht, sondern eine Prüferin, die zu diesem Zeitpunkt allein im Raum war, bedroht. „Das war eine sehr unangenehme Situation für sie“, so der Sprecher.

Angezeigt worden ist dennoch niemand. Und das hat einen Grund, den Fahrschulen und Verbände schon seit langem kritisieren: Betrugsversuche bei der Führerscheinprüfung sind nicht strafbar. Wer erwischt wird, kann höchstens eine Weile gesperrt werden, bis er das nächste Mal antreten darf. Es steht – bisher unbeantwortet – die Forderung an die Bundespolitik im Raum, solche Vergehen zur Straftat zu machen. Denn häufig stecken professionelle Banden dahinter. Insider berichten von 1000 Euro und mehr, die dafür bezahlt werden. Verbände und Prüfunternehmen sprechen von organisierter Kriminalität, die unbestraft bleibt.

Hackerangriffe sind dabei aber eine relativ neue Methode. Normalerweise bedienen sich die Betrüger einer anderen Masche, die aber ebenso hoch technisiert ist. Prüflinge tragen an einer unauffälligen Stelle, etwa im Knopfloch von Hemd oder Bluse, eine winzige Kamera. Die überträgt die Fragen vom Bildschirm nach draußen an einen Komplizen. Der flüstert die Antworten dann ein – über einen ebenso kleinen Knopf im Gehörgang. Die technische Ausstattung ist mit bloßem Auge kaum zu erkennen.

2000 entdeckte Betrugsversuche jährlich

Die Prüforganisationen reagieren. „Betrogen worden ist schon immer, heute allerdings unterstützt die Technik dabei“, sagt Lucà. Der Tüv greift deshalb zunehmend auf Räume zurück, an die man von außen nicht nahe herankommt. In Winnenden sind die Prüfer seit den Vorfällen außerdem immer zu zweit im Einsatz.

Seriöse Zahlen zu Betrugsversuchen gibt es bisher in Deutschland nicht. Der Tüv Rheinland, der sich intensiv mit dem Thema beschäftigt, geht davon aus, dass zuletzt bundesweit rund 2000 Betrugsversuchejährlich aufgeflogen sind. Wie viele unentdeckt geblieben sind, weiß niemand. Genauso, wie viele Menschen auf den Straßen unterwegs sind, die sich ihre Fahrerlaubnis mit unlauteren Methoden verschafft haben.

Prüfgesellschaften erfassen Fälle systematisch

Die vier Prüfgesellschaften, die in Deutschland die Prüfung abnehmen dürfen, wollen jetzt mehr Licht ins Dunkel bringen. Dekra, Tüv Nord, Tüv Süd und Tüv Rheinland unterhalten in Dresden die gemeinsame Arbeitsgemeinschaft Arge tp 21. Die fragt seit dem vergangenen Jahr erstmals gezielt bei der Prüfungsdokumentation Betrugsversuche ab. Die ersten Zahlen liegen vor, sie sind allerdings noch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. „Die Erfassung läuft, wir sind mit den Aufsichtsbehörden in Abstimmung“, so der Geschäftsführer Mathias Rüdel. Sicher sagen könne man bereits, dass „die Zahl der Betrugsversuche stetig steigt“.

Das Thema gewinne an Gewicht, zumal es mutmaßlich eine hohe Dunkelziffer gebe. Es gehe nun darum, sinnvolle Gegenmaßnahmen zu finden. So wie in Winnenden. Dort heißt die Maßnahme schlicht: Feierabend.