Kevin Spacey outet sich als schwul - ausgerechnet nach Vorwürfen eines sexuellen Übergriffs auf einen 14-Jährigen. Ist das Statement überfälliges Bekenntnis oder ein ungeschicktes PR-Manöver?

New York - Eigentlich ist ein Coming Out ein Befreiungsschlag. Wer sich erstmals als schwul oder lesbisch, als Transgender oder queer zu erkennen gibt, will sich wegen seiner sexuellen Vorlieben oder seiner Geschlechterrolle nicht mehr länger verstecken müssen. Entsprechend gelobt und gefeiert werden deshalb vor allem Prominente, die sich nicht nur gegenüber Freunden und Familie outen, sondern in aller Öffentlichkeit. Aber als Schauspieler Kevin Spacey sich am Montag outete, wetterte ihm Kritik entgegen. Was war geschehen?

 

Rapp war minderjährig

Angefangen hatte alles mit Vorwürfen von Schauspielerkollege Anthony Rapp, bekannt etwa aus „A Beautiful Mind“ und „Star Trek: Discovery“. Der hatte den „House of Cards“-Darsteller beschuldigt, ihn 1986 nach einer Party in seinem Apartment in New York auf sein Bett gelegt zu haben und auf ihn gestiegen zu sein. Es war der Vorwurf eines sexuellen Übergriffs, wie ihnen derzeit auch Filmproduzent Harvey Weinstein ausgesetzt ist, dazu aber noch auf einen Minderjährigen. Rapp sei damals nur 14, Spacey dagegen 26 Jahre alt gewesen, sagte Rapp der Website „Buzzfeed“.

Dass Spacey den mutmaßlichen Übergriff zwar als „zutiefst unangemessenes“, aber auch als „betrunkenes Verhalten“ einstufte, machte die Sache nicht besser - ebenso die Tatsache, dass er sich an den Vorfall eigener Aussage zufolge überhaupt nicht mehr erinnern kann. Aber dass der 58-jährige Oscarpreisträger ausgerechnet diesen Moment nutzte, um sich als schwul zu outen, brachte das Fass für Einige zum Überlaufen. Kritikern zufolge wirkte es wie eine gezielte Taktik, um vom eigentlichen Thema abzulenken.

„Schlechter Zeitpunkt für Coming Out“

Der Fokus müsse auf Rapp und damit dem Opfer bleiben, schrieb Schauspielerin Rose McGowan auf Twitter. „Kevin Spacey hat gerade etwas erfunden, das vorher nicht existierte: Einen schlechten Zeitpunkt für ein Coming Out“, twitterte der Comedian Billy Eichner. Schauspieler Zachary Quinto bezeichnete Spaceys Aussage als „tieftraurig und beunruhigend“. Comedian Wanda Sykes, die sich 2008 als lesbisch geoutet hatte, fügte hinzu: „Man kann nicht „wählen“, sich unter dem Regenbogen zu verstecken“ (Regenbogenflaggen sind internationales Symbol der LGBT-Bewegung).

War es also ein Akt der Verzweiflung oder gar die desaströse Entscheidung von Spaceys Management, Sprechern oder PR-Beratern? Wollte Spacey die Deutungshoheit über die Geschichte an sich ziehen und davon ablenken, dass er mutmaßlich Sex mit einem 14-Jährigen haben wollte? Oder „ermutigte“ ihn der Vorwurf schlicht dazu, auch „andere Dinge über sein Leben anzusprechen“, wie er selbst schrieb?

Spacey bestritt, schwul zu sein

Für Autor Dan Savage, einen der bekanntesten LGBT-Aktivisten in den USA, war die Sache klar: „Es gibt kein Niveau an Trunkenheit oder Verschlossenheit, das einen Übergriff auf ein 14 Jahre altes Kind entschuldigt oder wegdiskutiert.“ Kim Richards, Chef des Film- und Musikstudios Allied Artists, stand Spacey als einer der wenigen zur Seite: Affekthandlungen unter Alkoholeinfluss seien ein Zeichen für „übermäßige Hingabe“, schrieb er. Es dauerte nicht lang, ehe Richards von der Twitter-Gemeinde als „Verteidiger eines Vergewaltigers“ kritisiert wurde, der einen mutmaßlichen Pädophilen in Schutz nehme.

Selbst wenn ein Coming Out viel Mut erfordert und manche Menschen ihre sexuelle Haltung teils ein Leben lang für sich behalten: Für einen so beliebten, mächtigen und wohlhabenden Schauspieler wie Spacey wäre es sicher machbar gewesen, sich früher zu erkennen zu geben. In einem Interview im Jahr 2000 hatte er noch bestritten, schwul zu sein. Viele Schlagzeilen in den USA drehten sich am Montag trotzdem um das Coming Out. Sarah Kate Ellis, Präsidentin der LGBT-Organisation GLAAD, twitterte: „Dies ist keine Coming Out-Story über Spacey, sondern über den Überlebenden Anthony Rapp und diejenigen, die von ungewollten sexuellen Annäherungen berichten.“