Große Pop-Märchen beginnen in der Großstadt? Weit gefehlt: Ein besonders schönes nimmt gerade in Plieningen Gestalt an. Dort lebt das Duo Kids of Adelaide in einer Art Villa Kunterbunt, dort entstand auch das bemerkenswerte neue Abum „Into the Less“.

Stuttgart - Manchmal reicht schon eine kurze Autofahrt, um gefühlt in eine andere Welt einzutauchen. Ein paar Kilometer sind es nur raus aus dem turbulenten Stuttgarter Stadtzentrum, schon biegt man ins beschauliche Plieningen ein. Kleine Obststände stehen entlang der Straßen, um den Ort herum liegen Felder und Wälder, in seinem Kern gibt es noch viele alte Höfe und Scheunen. Hier vermutet man eher einen Ort für eine beschauliche Geschichte übers Landleben. Doch berichtet werden soll von einer jungen, aufstrebenden, zeitgeistigen Indie-Pop-Band mit rosiger Zukunft.

 

Eben auf diese Band stößt man in einem fast 300 Jahre alten Bauernhaus unweit des Plieninger Ortskerns. Es ist Epizentrum, Homebase, Proberaum, Studio und Zuhause des Duos Kids of Adelaide. Die beiden Musiker sind so etwas wie die Stuttgarter Antwort auf The Black Keys: ein verschworener Zweier, der klingt wie eine ganze Band. Mit dem neuen Album „Into the Less“ könnten die zwei für eine mittelgroße Sensation in der deutschen Indie-Musik sorgen.

Nun wurden in den letzten Jahren viele Stuttgarter Projekte zu legitimen Hype-Generatoren ausgerufen. Bands wie Die Nerven schafften es, viele andere nicht. Doch Kids of Adelaide sind anders. Zunächst mal, weil sie keiner sogenannten Szene angehören und ihr eigenes Ding machen. Vor allem jedoch, weil sie so klingen wie keine andere deutsche Indie-Band derzeit. Außerdem ist es ziemlich cool, dass die beiden neben Gesang, Gitarre und Orgel auch noch Schlagzeug spielen. Stehend der eine die Basedrum, der andere die Snare.

An der Hauswand ranken tiefrote Tomaten

Kids of Adeleide sind Benjamin Nolle (30 ) und Severin Specht (29). Sie sitzen in ihrem Garten, der auch einen kleinen, aufblasbaren Pool und Gemüsebeete bietet, an der Hauswand ranken tiefrote Tomaten empor. „Hier, probier mal“, meint Benjamin Nolle und reicht eine pralle, tiefrote Frucht. „Eigene Zucht“, schickt er stolz hinterher. Aber die beiden bauen hier nicht nur Gemüse an; sie bauen vor allem an ihrer Karriere. Die begann als Musiker auf Stuttgarts Straßen und führte in den letzten Jahren immer häufiger auf immer größere Bühnen. Zu zweit, immer nur zu zweit. „Wir brennen dafür, das zu zweit zu machen“, sagt Severin Specht dazu. „Wer so Musik macht wie wir, spürt sie am ganzen Körper. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl.“

Ermöglicht hat das alles auch ihre ungewöhnliche Wohnsituation. Nachdem Nolles Großmutter ins Altersheim ging, zog er mit Specht in ihr leer stehendes Haus ein. Nolles Freundin und Spechts Bruder folgten, ein eigenwilliger Kater macht die Kommune komplett. Nach dem Einzug wurde viel gewerkelt, Türen zugemauert, zusätzliche Fenster eingebaut – und die eine oder andere wilde Abrissparty geschmissen.

Für Severin Specht und Benjamin Nolle stand nie zur Debatte, nach Berlin oder sonst wohin zu gehen. Beide sind in Plieningen aufs Gymnasium gegangen, spielen bis heute im selben Fußballverein. „Irgendwann fragten wir uns alle, was denn mit dem Haus passiert, wenn Oma mal stirbt“, erzählt er in der Küche. „Meine Eltern und meine Brüder brauchten es nicht, also erwachte in mir und Severin langsam der Traum von einem Haus für uns und unsere Musik. Deswegen“, stellt er klar, „war es umso schöner, dass meine Oma für diesen Traum nicht sterben musste, sondern aus eigenen Stücken entschieden hat, ins Altersheim zu gehen. Sie bekam den Umbau noch mit und freute sich wirklich riesig, dass sie uns diese Chance ermöglichen konnte.“

Aus Straßenmusikern sind ernste Künstler geworden

Ende August ist das neue Album „Into the Less“ erschienen, darum werden Kids of Adelaide in Plieningen einige Gratulanten empfangen haben. Aus den folkigen Straßenmusikern sind arrivierte, ernste und melancholische Musiker geworden, die mittlerweile nicht nur Gemüse kultivieren, sondern auch einen hohen Wiedererkennungswert.

„Mit drei Liedern in Dauerschleife im tiefsten Winter in der Fußgängerzone, das war schon ein bisschen hart“, blickt Specht lachend auf die gemeinsamen Anfänge zurück. „Dennoch merkten wir, dass wir etwas mit den Leuten anstellten. Unsere Musik hatte etwas, das ihnen gefiel.“

Darauf bauten die Kids of Adelaide auf. Seit 2010 hat sich ihr Sound beachtlich entwickelt. Und wirkt mit den verzerrten Gitarren, der dräuenden Orgel und den punktgenauen Drums mittlerweile ziemlich ahnungsvoll. „Unsere Entwicklung nach vorn ist teilweise auch eine Rückentwicklung“, betont Nolle und erwähnt, dass er früher mal in einer Punk-Band spielte. „Ich mag es also, wenn das Schlagzeug knallt und die Gitarren richtig röhren.“ Die letzten Jahre haben die beiden damit verbracht, nach einem neuen Zugang zu dieser alten Leidenschaft zu suchen. Nolle: „Wir sind angekommen.“

Wie sie da so sitzen, nimmt man ihnen das sogar ab. Sie haben sich ihre eigene kleine Welt aufgebaut, in der sie sich auch mal mitten in der Nacht im Proberaum treffen, wenn der eine den anderen mit seinem Gitarrenspiel geweckt hat. Das würden sie für kein Geld der Welt aufgeben. Und Plienigen natürlich auch nicht. „Ich muss nicht in jedes Land der Welt reisen“, stellt Specht fest und lässt den Blick schweifen. „Außerdem ist es hier wirklich paradiesisch schön. Ich bin hier zu Hause, mit Leib und Seele. Das ist etwas Besonderes.“ Man lässt den Blick schweifen. Ja, ist es.