Pürierte Zwischenmahlzeiten aus Obst für Kinder sind ein Millionengeschäft. Die Früchte aus dem Quetschbeutel werden gerne als gesunde Nahrung beworben – sind es aber nicht.

Stuttgart - Winzige Puddingbecher, leere Quetschbeutel, Verpackungen von Fruchtschnitten und Müsliriegeln purzeln aus einem großen Korb auf den Boden. „Das ist der Abfall von zwei Wochen Frühstückspause in unserer Kleinkindgruppe“, sagt Erzieherin Silvia Jäckel beim Elternabend im Kindergarten. Sie ärgert sich vor allem über den großen Müllberg und über den vielen Zucker, den die extra für Kleinkinder abgepackten Produkte enthalten. „Bis zu sechs Stück Würfelzucker stecken in einem Quetschie mit püriertem Obst“, sagt sie.

 

Im Supermarkt-Regal lesen Eltern davon nichts. Auf den bunt bedruckten Beuteln, aus denen der Nachwuchs den Obstbrei saugen kann, sind Bananenscheiben, Äpfel oder Melonen abgebildet. „100 Prozent Frucht“ steht darauf. Oder „ohne Zuckerzusatz“. Dass die Quetschies dennoch wahre Zuckerbomben sind, liegt an der Verarbeitung. „Das Obst wird oft ohne Schale püriert und mit Fruchtmark oder Fruchtsaftkonzentrat angereichert“, sagt Anneke von Reeken, Ernährungsexpertin bei der Verbraucherzentrale Niedersachsen.

Sie hat in einem Marktcheck Obst in Quetschbeuteln verschiedener Hersteller genauer unter die Lupe genommen und kritisiert nicht nur den Süßigkeitenfaktor: „Die Produkte sind mehr als doppelt so teuer wie Obst aus dem Gläschen.“ Und anders als beim Biss in einen Apfel wird die Kaumuskulatur beim Obstnuckeln nicht beansprucht. „Das ist schlecht für die Sprachentwicklung und fördert obendrein Karies.“

Alles Mögliche wird in Beutel zum Nuckeln abgefüllt

Dennoch sind im Jahr 2017 in Deutschland bislang Quetschbeutel für 90 Millionen Euro verkauft worden. Dem Marktforschungsunternehmen Nielsen zufolge sind das 22 Prozent mehr als 2016. Als die Quetschbeutel 2012 auf den Markt kamen, lag der Jahresumsatz aller Hersteller noch bei acht Millionen Euro. Kein Wunder, dass die Unternehmen neben Obst inzwischen auch Nudel-Soßen-Mahlzeiten, Milchreis und Joghurt zum Nuckeln abfüllen.

Auch abseits der Quetschbeutel haben sich die Kleinkinder zu einer höchst attraktiven Zielgruppe für die Lebensmittelbranche entwickelt. Im Supermarkt können deren Eltern zwischen Dutzenden süßen und salzigen Kleinkind-Knabbereien wählen und dem Nachwuchs eigenes Müsli und Extra-Pudding im Minibecher in den Einkaufswagen legen. Damit die kleinen Konsumenten ihre Spezialprodukte erkennen, sind diese quietsch-bunt verpackt und mit lustigen Tieren oder Comichelden bedruckt. Die lesenden Eltern verführen dann Botschaften wie „ohne Zuckerzusatz“ oder „gut fürs Immunsystem“ zum Kauf, sagt Ernährungsexpertin Anneke von Reeken von der Verbraucherzentrale Niedersachsen.

Dank gigantischer Ausgaben für den Bereich Kinder-Marketing können heute schon Zweijährige McDonald’s und Burger King auseinanderhalten. Im Alter von zehn Jahren kennt ein Kind bereits 300 bis 400 Markennamen, heißt es bei der Marktforschungsagentur concept m, die sich auf Kinder spezialisiert hat. Dabei haben sich die großen Lebensmittelhersteller eigentlich verpflichtet, keine Werbung für „unausgewogene Produkte“ an Kinder unter zwölf Jahren zu richten. Denn in den ersten Lebensjahren wird das Essverhalten wesentlich und langfristig geprägt. Verbraucherschützer halten diese Selbstbeschränkung aber für wirkungslos, weil die Hersteller sie häufig missachten.

Tipp: Vom Speiseplan streichen, was im Fernsehen beworben wird

Der Reutlinger Kinderarzt Till Reckert, der auch für den Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte aktiv ist, rät Eltern deshalb: „Streichen Sie alles, was im Fernsehen beworben wird, vom Speiseplan. Damit liegt man zu 99 Prozent richtig.“ Dass das im Familienalltag nicht immer so einfach ist, wissen aber auch die Ernährungsexperten. „Durch die zunehmende Berufstätigkeit beider Eltern werden die Zeitfenster für Einkaufen, Kochen und Essen in den Familien kleiner“, sagt Thomas Ellrott, Leiter des Instituts für Ernährungspsychologie an der Universität Göttingen. „Fertige, halb fertige und einfach zuzubereitende Lebensmittel erleichtern es da, etwas auf den Tisch oder in die Kindergartentasche zu zaubern.“

Und wenn der Kindergartenfreund dann einen bunten Quetschbeutel aus seiner Tasche holt, will das eigene Kind den geschnittenen Apfel auch nicht mehr essen. Ernährungsexpertin Anneke von Reeken rät, dem Quengeln nach einem Quetschie trotzdem nicht nachzugeben und die Apfelschnitze stets in die Vesperdose zu legen. „Oft wird das Obst irgendwann doch akzeptiert.“

Im Kindergarten, in dem Silvia Jäckel Erzieherin ist, dürfen die Kinder seit dem Elternabend gar keine verpackten Lebensmittel und Süßigkeiten mehr mitbringen. Das haben die Eltern beschlossen, nachdem sie den Müllberg gesehen haben.

Diese Probleme gibt es

Das Nuckeln

Die Zähne werden beim Nuckeln am Obst-Quetschie stark von zuckerhaltigem Fruchtpüree umspült, warnen Zahnärzte. Logopäden dagegen fällt auf: Kinder, die lange Brei saugen oder essen, statt feste Nahrung zu kauen, tun sich mit dem Sprechenlernen schwerer. Denn wer in eine Karotte oder ein hartes Stück Brot beißt, trainiert die Kaumuskulatur und die Mundmotorik, also die Bewegungsfähigkeit von Lippen, Wangen und Mund. All das ist Voraussetzung, um sprechen lernen zu können.

Der Zucker

Auch wenn auf vielen Verpackungen steht: „ohne Zuckerzusatz“, sind Obst-Quetschies dennoch Zuckerbomben. Denn neben dem im Obst enthaltenen Fruchtzucker werden häufig noch Fruchtmark oder Fruchtsaftkonzentrat und damit noch mehr Fruchtzucker zugefügt. Das Ergebnis: In einem Quetschie stecken umgerechnet vier bis sechs Stück Würfelzucker.

Die Inhalte

Um abgepackten Brei lange haltbar zu machen, wird er stark erhitzt. Das tötet alle Keime ab. Beißt man dagegen in einen Apfel, gelangen auch mal Keime mit in den Körper – das stärkt das Immunsystem und beugt Allergien vor. Außerdem landet das Obst zum Teil ohne Schale in der Presse. Im Vergleich zu frischem Obst enthalten Quetschies dadurch weniger wichtige Vitamine und Ballaststoffe.

Der Preis

Obstmus im Quetschbeutel (90 Gramm) kostet zwischen 60 Cent und einem Euro. Ein Obstgläschen mit doppelt so viel Inhalt gibt es ab 65 Cent. Und ein Apfel (rund 100 Gramm) kostet gerade mal 30 Cent.

Der Müll

Während man einen Apfel einfach aufessen kann, ist das Obstmus in Aluminium und Plastik verpackt, das nach dem Essen auf dem Müll landet.

Was braucht ein Kleinkind wirklich?

Muttermilch ist am besten

Schon während der Schwangerschaft und in den beiden ersten Lebensjahren lässt sich späteres Übergewicht von Kindern verhindern: In dem Early-Nutrition-Projekt 2012 haben sich Forscher aus 14 Ländern zusammengetan, um Auswirkungen früher Ernährung auf die Gesundheit zu entschlüsseln. Dazu wurden unter anderem Gewicht und Ernährung von mehr als 2000 Schwangeren untersucht. Das Ergebnis: Fetale Überernährung, etwa aufgrund von Übergewicht oder Diabetes der Schwangeren, erhöht das Risiko des Kindes für Adipositas, Diabetes, Bluthochdruck, Herzerkrankungen, Schlaganfall und Asthma.

Berthold Koletzko, Projektleiter und Leiter der Abteilung für Stoffwechsel und Ernährung am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität München, rät allen Schwangeren: „Essen Sie wenig Zucker, wenig gesättigte Fettsäuren, und bewegen Sie sich regelmäßig.“

Nach der Geburt ist die beste Ernährung für Babys Muttermilch. Ersatzprodukte aus der Flasche liefern die 1,1-fache Menge an Energie und die 1,5- bis 1,8-fache Menge an Eiweiß. Kuhmilch liefert etwa die dreifache Eiweißmenge. Die Folge: Die Säuglinge wachsen schneller – das steigert das Risiko für Krankheiten im Erwachsenenalter