Soll man anstößige und rassistische Wörter aus Kinderbüchern entfernen? Oder soll man sie stehen lassen und mit den Kindern darüber reden? Darüber wird dieser Tage viel diskutiert.

Reise: Annette Schwesig (apf)

Stuttgart - Wenn am Mittwoch die Stuttgarter Kinder- und Jugendbuchwochen ihre Pforten öffnen, dann kann es gut sein, dass die Diskussion über sprachliche Korrekturen in Kinderbüchern dem spannenden Thema der diesjährigen Bücherschau, nämlich „Liebe“, glatt die Schau stiehlt. Denn diese Debatte hält sich nun schon seit einigen Wochen in den Feuilletons der Zeitungen und Magazine, und ein Abschwellen der sehr emotional geführten Diskussion ist nicht abzusehen.

 

Der Anlass für die Erregung war eigentlich unspektakulär: Im Herbst dieses Jahres wird der beliebte Kinderbuchautor Otfried Preußler 90 Jahre alt, und sein Verlag, Thienemann in Stuttgart, plant, eine neue, vierfarbig kolorierte Ausgabe des Klassikers „Die kleine Hexe“ im Juli auf den Markt zu bringen. Das ist im vergangenen Jahr, als der „Räuber Hotzenplotz“ 50 Jahre alt wurde, bereits mit allen drei Hotzenplotz-Bänden gemacht worden, der Erfolg war beachtlich. Die freundlichen neuen Bücher haben auch ein etwas größeres Format als die Original-„Hotzenplotz“-Bände, was einen neuen Seitenumbruch erforderlich machte. Als klar war, dass dies auch bei der „Kleinen Hexe“ in Angriff genommen werden würde, kam im Verlag die Idee auf, gemeinsam mit dem Autor und seiner Familie das Buch auch sprachlich durchzugehen und die eine oder andere Korrektur vorzunehmen. Kaum wurde dieses Vorhaben bekannt gemacht, war von Zensur die Rede. Doch ist dieser Vorwurf begründet? Bei Zensur handelt es sich um Kontrolle und Unterdrückung unerwünschter Inhalte. Davon kann im Fall Preußler nicht die Rede sein, schließlich sind der Autor und seine Tochter, die wegen Preußlers fortgeschrittenem Alter für ihn die Geschäfte führt, in jeden einzelnen Schritt involviert. Der Chef des Thienemann Verlages, Klaus Willberg, sagt dazu: „Die behutsame sprachliche Modernisierung in ‚Die kleine Hexe‘ geht auf die von mir ausdrücklich begrüßte Initiative der Familie Preußler zurück, ist mit dieser abgestimmt und von dieser autorisiert.“ Weiter sagt Willberg: „Wir stehen als Verlag für Kinder- und Jugendliteratur in einer Verantwortung für die von uns veröffentlichten Texte. Deshalb sollte ein Text für Kinder möglichst nicht falsch verstanden werden können. Sprache beeinflusst das Bewusstsein und wo ein diskriminierender Begriff vermieden werden kann, halten wir es für vernünftig, ihn wegzulassen.“ Willberg weist auch darauf hin, dass nicht zum ersten Mal kleine Veränderungen am Original vorgenommen werden. Vor einigen Jahren wurde zum Beispiel der Satz: „Ich wichse euch mit dem Besen durch“ in „Ich verhaue euch mit dem Besen“ geändert. Einen Aufschrei gab es damals nicht. Auch diesmal geht man behutsam vor: in einer Verkleidungsszene in der „Kleinen Hexe“ kommt das Wort „Neger“ vor. Preußler geht es hier um die Tradition des Faschings, es ist für den Autor nicht zwingend notwendig, dass ein „Neger“-Kostüm dabei ist. Die Intention werde nicht verändert, wähle man eine andere, nicht ethnische Verkleidung, heißt es von Verlagsseite: „Die Geschichte wird dabei nicht verfälscht.“

Zensur ist Kontrolle unerwünschter Inhalte

Aber auch die Gegner sprachlicher Eingriffe haben gute Argumente: zunächst ist da die Achtung vor dem Original, die Werktreue. Wenn man erst einmal anfange, ältere Texte nach aktuellen Vorstellungen umzuschreiben, dann werde man sie in Zukunft immer wieder umdichten müssen. „Dann ist die Literatur an ihr Ende gelangt“, so der Kolumnist Harald Martenstein. Ein Mensch werde sicher nicht dadurch zum Rassisten, weil er als Kind das Wort „Neger“ gehört habe. Nach der jüngsten repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts You Gov sprechen sich mittlerweile 70 Prozent der Befragten gegen sprachliche Korrekturen an Kinderbüchern aus, nur noch 22 Prozent sind dafür. Zu Beginn der Debatte waren die Befragten noch unentschieden. Die österreichische Kinderbuchautorin Christiane Nöstlinger sagt, sie würde es besser finden, problematische Wörter zu erklären, statt sie auszutauschen. Unlängst sagte die 76-Jährige in einem Interview: „So ein Unfug! In Erwachsenenliteratur würde man nie so reinpfuschen. Es zeigt sich doch, dass Kinderliteratur für viele nicht mehr ist als eine Pädagogikpille, eingewickelt in Geschichterlpapier.“

Sicher waren und sind auch Übereifrige am Werk: man denke nur an die zahllosen Kürzungen und Umarbeitung der Klassiker für junge Leser wie „Robinson Crusoe“, „Moby Dick“, „Gullivers Reisen“ und auch der Grimm’schen Märchensammlungen oder – der in die Jahre gekommenen Enid-Blyton-Klassiker. In all diesen Fällen kann man getrost von Zensur sprechen, denn es sind oft Eingriffe massivster Art. Davon kann im Fall Preußler/Thienemann Verlag wirklich nicht die Rede sein.