Kindertageseinrichtungen sollten von Architekten mit den Augen von Kindern geplant werden.

Stuttgart - „Kinder brauchen keine Baukunstwerke, sondern Gebäude, die sich durch eine sensible Berücksichtigung ihrer Interessen auszeichnen”, sagt Bettina Rühm. Die Architektin und Mutter zweier Kinder hat jetzt ein Buch über den Zusammenhang zwischen pädagogischen Konzepten und architektonischer Gestaltung geschrieben. Ihrer Ansicht nach kommt der pädagogischen Raumgestaltung ein immer höherer Stellenwert zu.

Mit dieser Meinung steht sie nicht allein. Flexible Öffnungszeiten, Ganztagsbetreuung, Kleinkinderbetreuung und Hort, wechselnde Altersspannen von 0 bis 14 Jahren und die Integration behinderter Kinder fordern ein hohes Maß an Flexibilität und konzeptionelle Anpassungen bei der Raumgestaltung von Kindertageseinrichtungen, sagt auch das Jugendamt Stuttgart.

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, hat das Amt vor drei Jahren eine rund 90 Seiten starke Arbeitshilfe mit Anregungen für die Planung, Gestaltung und Ausstattung von Kindertageseinrichtungen entwickelt. Über 100 Mitarbeiter aus den unterschiedlichsten Fachabteilungen haben damals dazu Hinweise und praktische Ratschläge beigesteuert.

Früher bestanden viele Kindergärten lediglich aus einem großen und einem kleinen Raum. Die Spielzonen boten Platz für einen Maltisch, eine Puppenecke, eine Bauecke. Fertig war der Kindergarten. Das funktionierte so lange, wie die Kinder in einer Gruppe altershomogen waren und nur innerhalb einer konstanten Zeit betreut werden mussten. „Die Kindertageseinrichtungen verstehen sich zunehmend auch als Bildungseinrichtungen, was pädagogische und bauliche Veränderungen zur Folge hat”, erklärt Bettina Rühm in ihrem Buch „Kindergärten, Krippen, Horte”. Die Architektin hat sich in 28 unterschiedliche Kindertagesstätten für ihr Buchprojekt umgesehen. Ihr Fazit: Trotz manchmal schwieriger Randbedingungen sei es möglich, Kindern ein Geborgenheit gebendes und zugleich anregendes Umfeld zu bieten, wenn Träger, pädagogisches Personal und Architekt zusammenarbeiten.

Fragt man Heinrich Korn vom Jugendamt Stuttgart, wie denn der ideale Kindergarten heute aussehen sollte, muss er nicht lange nachdenken: „Ein freistehendes, eingeschossiges Gebäude, bei dem alle Gruppen einen Zugang zu den Außenflächen haben”. Das habe ganz praktische Gründe. Ein Haus ohne Treppen sei für die Mitarbeiter übersichtlicher und dann gebe es natürlich auch noch den Kostenaspekt. Je mehr Geschosse, umso teurer werde der Bau. Der Abteilungsleiter weiß natürlich, dass derartige Wünsche bei den Bedingungen in der Stuttgarter Innenstadt illusorisch sind. „Hier müssen wir Kompromisse machen.” Vor allem dann, wenn eine Kindertagesstätte in einem Gebäude untergebracht werden muss, das für eine derartige Nutzung ursprünglich gar nicht geplant war. Dann kann es auch schon mal passieren, dass die Außenfläche wie beim Kindergarten im Stuttgarter Tagblatt-Turm einfach aufs Dach gesetzt wird oder kurzerhand bei einem anderen Kindergarten in der Innenstadt eine Lärmschutzwand hochgezogen wird, um die Kinder vor dem Straßenlärm abzuschotten. „Wir haben aber auch schon die zur Straße zugewandte Hausseite einfach ohne Fenster geplant. Dann kommt das Licht eben von oben”, erzählt Korn von den Schwierigkeiten, im Zentrum einer Großstadt eine Kindertagesstätte zu realisieren.

Für den Abteilungsleiter beim Jugendamt ist jede neue Kindertagesstätte eine Herausforderung, sei es, den richtigen Platz für das Gebäude auf dem Grundstück zu finden oder die Funktionsräume richtig einzuplanen. Für Bettina Rühm sind „gute bauliche Konzepte immer auch auf das jeweilige pädagogische Konzept abgestimmt, lassen aber dennoch eine flexible Nutzung der Räume zu und schaffen Freiheiten in der Gestaltung des Kindergartenalltags”. Damit der Raum zum Erlebnisraum werde, brauche es vor allem neutrale, helle Räume, unterschiedliche Raumhöhen und naturbelassene Materialien, schreibt die Architektin in ihrem Buch.

Heinrich Korn erwartet, dass sich der Architekt aber auch damit auseinander setzt, „was Kindergarten leistet” und „sich auf Augenhöhe mit den Kindern begibt”. Zumal die Kindertagesstätte heute auch die Eltern als Nutzer berücksichtigen müsse. Oft sei der Kindergarten in einem Neubaugebiet die erste Kontaktstelle, um sich kennen zu lernen. „Die Einrichtung muss auch einen Kindergeburtstag aushalten oder im Eingangsbereich einen Kommunikationsbereich für die Eltern haben”, ist die Erfahrung von Korn.

Wichtig sei ihm aber auch, dass die Planer so einer Einrichtung mit den Erziehern reden. Das findet auch Architektin Rühm. „Im Idealfall steht das Konzept bereits vorher fest, und Architekt, Träger und das pädagogische Personal arbeiten eng zusammen. Das ist bereits erfreulich häufig der Fall, jedoch leider noch lange nicht selbstverständlich”, kritisiert sie in ihrem Buch.

183 städtische Kindergärten und noch einmal etwa genauso viele Einrichtungen von freien Trägern gibt es in der Landeshauptstadt. Von einem Sanierungsstau wie bei den Stuttgarter Schulen sei man weit entfernt, so Korn. Das liege aber daran, dass Kindergärten kleinere Objekte als Schulen seien und deshalb mit einem viel geringeren jährlichen Aufwand in Schuss gehalten werden könnten. Dennoch gebe es auch in Stuttgart den einen oder anderen Kindergarten, der in einem schlechten Zustand ist. Korn beruhigt aber: „So schlimm, wie bei den Schulen sei es noch lange nicht.” Betroffen von den Sanierungen sind vor allem die Holzbauten aus den 70er Jahren. „Die müssen demnächst generalsaniert oder abgerissen werden”, sagt Korn. Dann sollen sie durch größere Einheiten ersetzt werden. Denn die Stadt braucht dringend Plätze, wenn ab 2013 der garantierte Anspruch jedes Kindes unter drei Jahren auf einen Platz in einer Kindertagesstätte erfüllt werden soll.