Die Landeszentrale für politische Bildung und das Kulturzentrum Merlin im Stuttgarter Westen beleuchten bei einer Veranstaltungsreihe mit Kindern die ethischen Konflikte beliebter Fantasyliteratur.

S-West - Eine alte Socke bringt der Elfe Dobby die Freiheit. Harry Potter gelingt es, das unappetitliche Kleidungsstück dem Zauberer Lucius Malfoy abzuluchsen. Bekommt eine Hauselfe von ihrem Gebieter ein Kleidungsstück geschenkt, bedeutet dies die Freiheit für sie. Harry Potter wird damit zum Abraham Lincoln der unterdrückten Hauselfen. Dobby ist der erste seiner Art, der die sklavenartige Unterwürfigkeit gegenüber Zauberern nicht mehr bereitwillig akzeptiert, sondern künftig für seine Dienste Entlohnung verlangt. Die emanzipierte Hauselfe entwickelt von nun an an einen Faible für Kleidung – anders als seine unbekleidet hinter ihren Gebietern hinterherschleichenden Artgenossen. Besonderen Wert legt er auf bunte Socken – Symbole seiner Befreiung.

 

Kinder und Jugendliche im Alter von zehn bis 15 Jahren haben sich bei einem Workshop im Kulturzentrum Merlin Gedanken gemacht über die Befreiung Dobbys und die Darstellung der devoten Elfen in den Harry-Potter-Romanen und -Filmen. Neben dem Merlin zeichnete die Landeszentrale für politische Bildung verantwortlich für die Veranstaltung. Sie ist Teil einer Reihe, die Mythen der Fantasyliteratur hinterfragen und ihre politische Dimension herausarbeiten will. Kinder und Jugendliche bewegten sich in den Universen ihrer Superhelden, sagte Annette Loers vom Kulturzentrum Merlin. „Die imaginären Welten sind höchst politisch, ohne dass das die Kinder das auf den ersten Blick verstehen“, meint Loers.

Veranstaltung will Kinder aufklären

In „Star Wars“ kämpfen etwa Rebellen gegen den totalitären Superstaat des Imperators, der mit der Hilfe der Todessterne und des dunklen Jedi-Ritters Darth Vader Angst und Schrecken über einst freie Planeten verbreitet. In „Bat Man“ übt der Sohn eines ermordeten Multimilliardärs Selbstjustiz in Gotham City aus. Die Stadt ist ein von Gier und Korruption zerfressener Moloch, in dem der Kapitalismus zu einer mafiösen Oligarchie entartet ist. Es handelt sich um Narrative, die nicht unbedingt dem Erfahrungshorizont von Kindern entsprechen.

Die Veranstaltungsreihe im Merlin soll Kindern und Jugendliche deshalb helfen, über die moralischen Konflikte nachzudenken, die ihren Lieblingsromanen oder -filmen zugrundeliegen, erklärt Bianca Braun von der Landeszentrale für politische Bildung.

Kinder wollen Elfen befreien

Bei einem Workshop gründeten die teilnehmenden Kinder und Jugendliche im Merlin eine Stuttgarter Sektion, des im Harry-Potter-Roman von Hermine Granger gegründeten Bundes für Elfenrechte. Sie warben in einer anschließenden Präsentation vor den Eltern in Zeitungsartikeln oder mit Flyern dafür, Elfen die gleichen Rechte einzuräumen wie Menschen. Anhand der Unterdrückung der Elfen diskutierten die Kinder mit Referenten der Landeszentrale für politische Bildung die Bedeutung von Freiheit in Deutschland und darüber hinaus. Dass Freiheit ein Privileg ist, das nicht nur den Elfen in der Harry-Potter-Welt der Autorin Joanne K. Rowling vorenthalten ist, sei den Kindern klar gewesen, meint Bianca Braun. „Bei dem Workshop meinte ein Kind, dass es eine Freiheit wie in Deutschland in vielen Ländern in der Welt nicht gibt“, sagt Braun.

Hermine Granger gibt in der Harry-Potter-Welt als auszubildende Zauberin ein Beispiel dafür, dass auch von einer privilegierten Position heraus, der Einsatz gegen die Diskriminierung anderer möglich ist. Es braucht eine ethische Entscheidung dafür, auf ein Vorrecht zu verzichten, das andere benachteiligt oder ausbeutet.

Mutter lobt Veranstaltung

Nora Schönberger ist mit ihrer zehnjährigen Tochter Anni aus Heidelberg angereist, damit die Tochter gemeinsam mit einer Freundin an dem Workshop in Stuttgart teilnehmen kann. Die Mutter findet, dass die Veranstaltungsreihe einen guten Ansatz verfolgt. „Im besten Fall setzen sich die Kinder mit den Themen in den Büchern anders auseinander. Ihre Tochter, selbsterklärter Harry-Potter-Fan, fand die Hauselfen immer süß. „Aber ich finde es auch gruselig, wie die leben müssen“, sagt sie.

Vielleicht hat das Mädchen an diesem Morgen im Merlin gelernt, dass Hauselfen auch in dieser Welt existieren und darauf warten, dass wir uns an Hermine Granger ein Beispiel nehmen.