Partykracher, Bandshirts und musikalische Früherziehung – unser Kolumnist Michael Setzer über einen Plan, der zum Scheitern verurteilt war.

Stuttgart - Meine Freunde sind musikalische Snobs, die würden nie im Leben ein Lied von Phil Collins anhören, ohne einen spöttischen Kommentar dazu abzusondern. Der möge zum Beispiel lieber wieder Schlagzeug spielen, im Keller, bei Genesis oder sonst wo – Hauptsache weit weg.

 

Ich mag meine Freunde für ihre geschmackliche Hybris. Manchmal sagen sie schließlich auch wahnsinnig lustige Dinge wie „Michael Stipe von R.E.M. würde ein gutes Lied nicht erkennen, selbst wenn es ihm auf dem Kopf fällt.“

Deshalb habe ich dem Sohn bislang auch noch keine Band-T-Shirts oder -Strampler besorgt. Zu gefährlich. Ich habe Angst, dass meine Freunde ihn in Diskussionen verstricken, ob das bitteschön sein Ernst sei und beispielsweise die Bad Brains nicht eine wahnsinnig überbewertete Band wären, ob er überhaupt alle Platten von Tom Petty kenne oder ob Pink Floyd in Wahrheit nicht in Glanzpapier verpackter Pferdedung sei. Nee, halt: Ein Pink Floyd T-Shirt würde ich meinem Sohn nie aufschwätzen.

Ein perfider Plan

Letztlich habe ich einen viel größeren Plan: Demnächst möchte ich anfangen, zu Hause nur noch Musik zu hören, die ich selbst ein bisschen schrecklich finde – David Garrett, Capital Bra, Pink Floyd, Reggae oder Blur.

Denn Kinder, das habe ich gelesen, rebellieren irgendwann gegen ihre Eltern und vor allem gegen das, was die Eltern super finden. Also, hier kommt mein Plan: Wenn bei uns zu Hause nur noch mittelklassige Dienstleister-Musik läuft, wird’s dem Sohn irgendwann zu bunt, und er investiert sein Taschengeld in Platten von Rocket From The Crypt, Bolt Thrower oder The Ruts. Und dann tanzen wir zusammen durch das Wohnzimmer, zerdeppern das Mobiliar und brüllen „Nananana, Staring At The Rude Boys“. Soweit der Plan.

Bei mir zu Hause läuft derweil „Easy Lover“, eine sagenhafte Nummer, die Phil Collins 1984 zusammen mit Philip Bailey von Earth, Wind & Fire gemacht hat. So gut, das kann sogar ich nicht kaputt singen. Und ich habe neulich schon „Que Sera“ von Doris Day, Gott hab sie selig, völlig zugrunde gekrächzt.

Die Tanzfläche brennt

Hier bei „Easy Lover“ brennt derweil die Tanzfläche. Also, ich. Ich halte den Kleinen, der auf mir herumhüpft und dabei – wenn irgendwie möglich – nicht umkippen soll. Und wir tanzen munter weiter zur „Ein Hit ist Hit“-Playlist der Mutter.

Stimmt ja auch: ein Hit ist ein Hit. Eddie Money, „Shakin‘“. Wahnsinn. „Le Responsable“ von Jacques Dutronc, „Wrecking Ball“ von Bruce Springsteen, „Harder Than You Think” von Public Enemy.

Und dann auch noch das: Die „Dirty Dancing“-Hebefigur! Bislang scheiterte ich immer kolossal an der Umsetzung – der Frau war’s zu gefährlich, der Hund hatte keine Lust und die Nachbarn wollen nicht, dass ich sie stemme. Außerdem, hat es sich wahrscheinlich herumgesprochen, dass ich über einen mitunter miserablen Gleichgewichtssinn verfüge.

Dirty Dancing!

Der Sohn aber ist aus anderem Holz geschnitzt. Aus den Boxen dröhnt: „And I had the taaaiimm of meiii laiffffff, anndd I I never felt laik dis befooorrrrr”, ich fasse ihn locker an den Hüften und stemme ihn mir sicher über den Kopf. Sagenhaft. Er lacht, ich natürlich auch und dann weine ich fast vor Freude.

So ähnlich wie die vergangenen fünf Mal, als die Frau unbedingt „Dirty Dancing“ im Fernsehen gucken wollte. Läuft immer gleich ab: Sie schläft nach 20 Minuten ein, ich nuschele die Dialoge auswendig mit und am Ende heule ich wieder.

Und nun geht sie vollends dahin, meine einst sorgsam kuratierte popkulturelle Coolness. Im Ernst. Seit der Kleine im Haus ist, läuft hier gar nix mehr nach Plan und vielleicht ist es das Schönste, was das Kind mir bislang beigebracht hat.

Michael Setzer ist vor Kurzem Vater geworden. Früher haben Eltern ihre Kinder vor Leuten wie ihm gewarnt. Niemand hat ihn vor Kindern gewarnt.