Früher hat unser Kolumnist Michael Setzer für gute Horrorfilme Termine abgesagt. Seit das Kind im Haus ist, scheitert er an Problemfilmen und der Tagesschau. Gefühlswallungen, eben. Aber: er hat einen Plan zur Plüschtierbeschaffung.

Stuttgart - Der Begriff „Eltern“ bedeutet: Keine Ahnung haben, aber mit bestem Gewissen nach dem Guten streben. Ich würde jetzt gerne sagen, ich hätte das irgendwo gelesen. Wäre aber glatt gelogen. So habe ich mir das zusammengereimt. Ich weiß es doch auch nicht. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht von ganzem Herzen hoffe, dem Kind überhaupt gerecht werden zu können. Kaum etwas erscheint da suspekter als diese Über-Eltern, die ständig den Eindruck erwecken, sie hätten alles im Griff.

 

In Deutschland, das habe ich neulich tatsächlich gelesen, sei der Zugang zu Kindern wahnsinnig akademisch – Handbuch aufschlagen, querlesen. Zack. Fertig. Experte. Ich weiß nur leider nicht mehr, wer das gesagt hat oder wo ich das gelesen habe.

Einen super Satz konnte ich mir allerdings sofort merken. Den hat der Sänger Thees Uhlmann gesagt, beziehungsweise sich von einem Freund ausgeliehen. Der sagte zu seiner kleinen Tochter: „Egal ob Stammheim oder Bundeskanzleramt, wir kommen dich besuchen“. Und wahrscheinlich habe ich noch nie einen romantischeren Satz gehört.

Ungeahnte Gefüllswallungen

Andererseits: nicht zurechnungsfähig. Also, ich. Seit das Kind im Haus ist, ertappe ich mich bei Gefühlswallungen in alle erdenklichen Richtungen. Teils aus heiterem Himmel. Ich bin mittlerweile derart verweichlicht, ich kann mir nicht mal mehr lustige Internetvideos von kleinen Kindern angucken, die über die eigenen Füße stolpern, von der Couch plumpsen oder auf dem Fahrrad von einem Sattelschlepper plattgemacht werden. Es geht nicht mehr.

Jahrzehntelang habe ich mir Filme angeguckt, in denen Menschen übel mitgespielt wird. Man kennt das doch: Autopanne irgendwo im Wald und plötzlich hängt man kopfüber in der Scheune am Fleischerhaken und ein paar inzestuöse Zombies mit strähnigem Haar und Latzhosen brüllen doof rum und haben wahnsinnigen Hunger. Für solche Filme habe ich früher Termine abgesagt.

Bei Netflix sind sie betrunken

Wenn das Kind schläft, versuche ich mich manchmal an Netflix – beziehungsweise, lese da die Film- und Serienbeschreibungen durch. Die klingen immer, wie von einem Betrunkenen verfasst. Hier zum Beispiel: „Von ihrem undankbaren Job frustriert, reagiert sich die rote Pandadame Retsuko nach der Arbeit beim Death-Metal-Karaoke ab, um ihre Alltagsprobleme zu vergessen.“ Obwohl mich zumindest die Death-Metal-Sache neugierig gemacht hat. Ich mag melodischen Baulärm.

Viel lieber als Problemfilme, deutsche Problemfilme. In deutschen Filmen müssen die Leute immer Matthias Schweighöfer haben oder halt riesengroße Probleme. Dann brüllen sie sich in der Küche oder im Kleinwagen an, haben Weinkrämpfe, hören miese Elektromusik und nehmen dann Ketamin in Berlin.

Bleibt weg mit euren Tragödien

Oder so was hier: „Nach einer großen Tragödie findet eine Mutter langsam zurück ins …“ Zack, weiter. Ich will nicht, dass Mütter irgendwelche Tragödien erleiden. Nächster Versuch: „Ein Vater kämpft verzweifelt um das Leben seiner Familie, die ...“ Zack, weiter. Will ich nicht sehen. „Nach dem Tod ihres Kindes…“ Herzlichst, am Arsch. Zack, weiter. Fernseher durchs geschlossene Fenster auf die Straße werfen. Kann sich gerne jemand da draußen angucken. Aber leise bitte, das Kind schläft.

Ich genieße es, nicht mal theoretisch über Sachverhalte nachdenken zu müssen, die dem Kind die Laune oder gar das Leben verderben könnten – oder mir noch mehr Angst machen. Er wird früh genug Fragen stellen, die ich ihm nicht beantworten kann. Und für mich bleibt die Tagesschau der fieseste Horrorfilm.

Okee, Kannibalen gehen immer

Bin dann auf Youtube gelandet und habe mir eine fast dreistündige Dokumentation über die Cannibal Corpse angeguckt, eine Death-Metal-Band aus Florida. Ruppiges, mitunter offensiv bluttriefendes Zeug. Wenn man deren Liedtitel übersetzt, bekommen sogar Zombies ohne Fremdsprachenkenntnisse noch Angst.

Scheinen aber – mit Abstrichen – patente Leute. Der Sänger George Fisher, der von allen Corpsegrinder genannt wird, hat ein tolles Hobby: Er angelt für seine Kinder bunte Stofftiere aus diesen Maschinen, die an Raststätten oder in Freizeitparks herumstehen. Diese Dinger mit Greifarm und so. Und er ist wirklich gut darin. Das Internet ist voll von Bildern mit Fisher, rosaroten Plüschdelfinen und seinen lachenden Kindern.

Ich hatte bei diesen verdammten Drecksmachschinen noch nie ein gutes Händchen. Muss ich mal üben. Für das Kind. Und weniger fluchen.