Klar kann man Spielzeug horten bis die Wohnung platzt. Doch wenn’s um blitzsauberen Spielspaß geht, macht Kindern niemand etwas vor, sagt unser Kolumnist Michael Setzer – auch wenn’s manchmal ein bisschen weh tut.

Stuttgart - Der Vater fragt die Dreijährige, wie denn das kleine Brüderchen heißen soll, das demnächst auf die Welt kommt. Sie sagt: „Ömer“. Sie kenne einen aus der Kita, der so heißt und sehr lieb ist. Und das ist auch schon alles, was man über Kinder wissen muss: Grundlegende Fragen werden alleine daran abgeglichen, ob man mit jemandem Spaß beim Spielen hat. Ömer, das scheint so einer.

 

Auch unser Kind zu Hause spricht Wahrheiten aus, ohne nur ein Wort zu sagen: Er knabbert die Hälfte von einer Nudel ab, mümmelt ein bisschen und wie selbstverständlich hält er den Rest der Nudel der Hündin hin, die natürlich dankend annimmt.

Mit Spielzeug wird bei uns zu Hause ähnlich verfahren: Neulich erst ist die Hündin zielstrebig mit einer Plüschgitarre im Mund an mir vorbei gelaufen – konnte daher leider nicht verstehen, was sie gesagt hat. Das Kind zumindest hatte keine Einwände. Hier wird geteilt, weil man sich mag und weil man’s gar nicht anders kennt. Hier wird gespielt, weil Spielen Spaß macht und alle noch viel mehr Spaß haben sollten.

Bei so viel kindlicher Sozial- und Freizeitkompetenz erstaunt umso mehr, wie durchtrieben Kinder auch sein können: Zum wiederholten Mal schon durfte ich nun mit vollem Körpergewicht und leider in Socken auf einen sehr eckigen Bauklotz treten. Sherlock Holmes musste ich gar nicht anrufen – war schon klar, wer den Klotz mitten im Raum platziert hat. Mittlerweile vermute ich sogar Methode dahinter. Niederträchtige Methode.

Ich: „Orr, Aua!“

Kind: „Hihi“

Pfandflasche und Fernbedienung

Ein Großteil des pädagogisch wertvollen Spielzeugs interessiert den Kleinen tatsächlich nur, wenn er gerade Lust hat, Zeug im Raum zu verteilen und es dort dann liegen zu lassen. Nachhaltiger Beliebtheit im Spiel-und Spaßgeschäft erfreuen sich eher eine olle Plastikpfandflasche, abgelegte Smartphones, ein größerer Pappkarton und die Fernbedienung des Fernsehers. Er drückt planlos drauf und dann kommen buntes Licht und Geräusche aus der Kiste. Riesenspaß. Millionen Deutsche können sich nicht irren. Und, huch: auf Kanal 88 werden tatsächlich den ganzen Tag Sportnews gesendet.

Der Kleine hat auch schnell verstanden, dass die Ersatzfernbedienung, eines längst nicht mehr existenten Videorecorders, keinerlei Wirkung zeigt. Die haben wir besorgt, damit bei uns nicht ständig der Fernseher läuft. Hat er gemerkt: Nix da Aktion/Reaktion, buntes Licht und Geräusche. Das Ding liegt jetzt irgendwo auf dem Boden, damit er später wieder etwas zu lachen hat – wenn ich in Socken reintrete.

Die „gute“ Fernbedienung versteckt er derweil nach Gebrauch unter der Couch. Wahrscheinlich, damit ich später nicht so viel Fernsehen gucke. Da kommt ja viel schlimmes Zeug. Wer hier eigentlich wen erzieht, habe ich gefragt?!

Pädagogik, ohjeh!

Vielleicht ist es auch ein bisschen traurig, dass ich schon so früh mit meinem pädagogischen Wissen an Grenzen stoße. Mehrmals habe ich ihn laut, deutlich, stereo und in Farbe gebeten, nicht ständig den Fernseher anzuschalten. Und ich habe auch gesagt: „Nicht die Brille!“. Er hat jedes Mal dreckig gelacht, dann lief der Fernseher und meine Brille ist quer durch die Wohnung geflogen. Bereits „Aua! Nicht der Bart!“ war ihm egal. Er zieht daran, wie es ihm beliebt.

Ich bat ihn sogar, nicht schon wieder die 7“-Singles aus der Kiste im hohen Bogen durch die Wohnung zu werfen. Ich sag, wie’s ist: die „99 Luftballons“ von Nena fliegen tatsächlich sehr gut ... auf ihrem Weg zum Horizont.

Er: „Hihi“

Ich: „Neeeiin!“

„Nein!“

„Nein!“ sagen, das soll man sich zur Beginn der Erziehung bitte verkneifen, habe ich gelesen. Es fördere bei Kindern die Rebellion gegen dieses „Nein!“, beziehungsweise: das Kind stumpft ab. Wer ständig „Nein!“ sagt, wird irgendwann einfach nicht mehr gefragt. Besser sei: Alternativen anzubieten.

Danke, Pädagogik. Die Mutter verfügt über wirklich miserablen Bartwuchs und Brille hat sie auch keine. Wenn bei uns zu Hause einer Lust hat, eine Brille durch den Raum zu werfen oder jemanden am Bart zu ziehen, dann bin ich gewissermaßen alternativlos.

„Junge! Du kannst nicht einfach alles unter die Couch schieben“, sag’ ich mal wieder. Er nickt zustimmend, während er die Fernbedienung und mein Smartphone gaaaanz langsam unter die Couch schiebt – genau so weit, dass man beide nicht mehr sehen kann, wenn man sie später dann händeringend sucht.

Die kindliche Perfektion von Spaß

Der Junge perfektioniert sich diesen Spaß sogar: Eine Freundin der Mutter suchte neulich ihr Smartphone. Erst als die halbe Wohnung umgekrempelt und das Ding noch immer nicht aufgetaucht war, konnte der potenzielle Täterkreis auf eine Person reduziert werden.

Mutter: (*Hüstel*): „Hast Duuuu zufällig das Handy gesehen?“Er: „Hihi“

Dann kletterte er unter vergnügtem Brabbeln auf die Couch und zog stolz und strahlend das Smartphone hinter der Lehne hervor. Kurz darauf bin ich wieder in Socken auf den sehr eckigen Bauklotz getreten.

Wenn’s um blitzsauberen Spaß geht, macht Kindern keiner etwas was vor.

Lesen Sie mehr aus der „Kindskopf“-Kolumne

Michael Setzer ist vor einem Jahr Vater geworden. Früher haben Eltern ihre Kinder vor Leuten wie ihm gewarnt. Niemand hat ihn vor Kindern gewarnt. Er schreibt im wöchentlichen Wechsel mit seiner Kollegin Lisa Welzhofer, die sich in ihrer Kolumne „Mensch, Mutter“ regelmäßig Gedanken übers Elternsein, über Kinder, Kessel und mehr macht. https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.kindskopf-kolumne-rock-you-like-a-hurricane.caabace2-e8d6-4a40-9753-319c1fe4e636.html