Ein bisschen wütend sind wir alle gerade und gelegentlich auszuflippen schadet nicht. Unser Kolumnist Michael Setzer kennt das. Doch erst ein Zweijähriger zeigt ihm, wie man den emotionalen Druckausgleich perfektioniert.

Stuttgart - Manchmal sage ich „danke!“ und lächle, obwohl letzteres unter einer Maske auch ein bisschen egal ist. Aber ich finde das eben spitze, wenn jemand gegenüber an der roten Fußgängerampel stehen bleibt, obwohl weit und breit kein Auto kommt – nur weil ich ebenfalls mit dem Kind an der Ampel stehe und gerade erkläre, dass wir erst bei Grün rübergehen. Dann sage ich „danke!“ und lächle.

 

Ich möchte das gerne als Affront gegen die öffentliche Stinkstiefeligkeit verstanden wissen. Die Sache ist trotzdem die: Ich motze auch nicht, wenn jemand bei Rot rüber läuft. Andere Menschen, andere Probleme. Und „ja“, wütend sind wir alle. Über irgendwas. Gerade ständig.

Sogar die Hündin hat die Faxen dicke

Wir sitzen im Hinterhof und legen Futter für die Vögel und die frisch eingezogene Patchwork-Mäusefamilie aus. Die Hündin bellt stinksauer die Nachbarskatze an, weil die ebenfalls im Hinterhof Präsenz zeigt und Mäuse und Vögel für Snacks hält. Das Kind lacht und ermahnt die Hündin, cool zu blieben. Ja, das Leben ist manchmal furchtbar einfach. Cool bleiben und im Hinterhof niemanden essen, der laufen oder fliegen kann.

Die Sache mit dem Homeoffice hat der Zweijährige ebenfalls sehr gut im Griff. Wie viele Menschen gerade, arbeitet auch das Kind zu Hause. Grob vier Minuten braucht er, um seine Arbeitsmaterialien fein, säuberlich und strategisch klug in der Wohnung auszulegen – und um dann doch lieber etwas ganz Anderes zu machen. Wenn es mir nicht längst geläufig wäre, ich würde es sofort abgucken.

Ungefilterte Wut

Stattdessen lerne ich einiges über echte, ungefilterte Wut. Nichts, wirklich gar nichts, ist echter als die Wut eines Kleinkindes. Beim Homeoffice stolpert der Kleine über sein Laufrad („Gaia!“), er rappelt sich auf, sagt „Bäh! Gaia!“, richtet das Rad auf und lässt es wieder umfallen, weil er es noch nicht werfen kann. „Bäh!“

Es dauert kaum einen Lidschlag bis wirklich alles in greifbarer Nähe „bäh!“ ist und dann eben die Gegenstände geworfen werden, die werfbar sind: Bauklötze, Kuschelaffe, Werbeprospektle, Bagger und Polizeiauto. „Um Himmels Willen, nicht das Polizeiauto!“, rufe ich. „Sonst drehen der Horst Seehofer und der Schwiegersohn von Wolfgang Schäuble wieder am Rad!“. Er hört mich nicht. Alles ist „bäh!“.

Cool bleiben

Cool bleiben, habe ich gelernt. Ich nenne also einen Gegenstand und frage, ob der auch „bäh!“ ist. Beeindruckend wie viel der Kleine in der Wohnung „bäh!“ findet. Alles ist „bäh!“. Irgendwann zeige ich auf die Hündin: „Auch bäh?“. Er schüttelt den Kopf: „Nein“, Hündin atmet auf und die Welt ist wieder spitze – ein Regenbogen quer durch die Wohnung. Plötzlich ist nichts mehr „bäh!“.

Nur manchmal tut es mir wahnsinnig leid, dass er nun schon fast die Hälfte seines Lebens in einer Pandemie leben muss. Dass er nicht weiß, warum Eltern manchmal ihre Kinder wegziehen. Dass er nicht weiß, warum Erwachsene manchmal einen Bogen um Kinder machen.

Ich hoffe, er wird nie erfahren, dass die Unfähigsten unter den Entscheidungsträgern versucht haben, diese Pandemie auf dem Rücken der Kinder auszutragen. Bäh. Doch ich werde ihm später erzählen, wie oft er mich auf andere Gedanken gebracht hat. Mich cool gemacht hat.

Lesen Sie hier mehr aus der „Kindskopf“-Kolumne

Michael Setzer ist vor über zwei Jahren Vater geworden. Früher haben Eltern ihre Kinder vor Leuten wie ihm gewarnt. Niemand hat ihn vor Kindern gewarnt. Er hat auch immer gerne die Kolumne „Mensch, Mutter“ von Lisa Welzhofer gelesen.