Große Filmdiven müssen sich immer wieder neu erfinden – Nicole Kidman tut es nun in einem Thriller-Drama, indem sie Mut zur Hässlichkeit beweist.

Stuttgart - Die Wangen hohl, die Haut fleckig und fahl, die Augen vom Schlafmangel grau umflort: So kaputt wie in Karyn Kusamas Thriller „Destroyer“ hat man Nicole Kidman noch nie gesehen. Und sie zeigt nicht nur Mut zur Hässlichkeit, sondern zieht in der Rolle einer ramponierten Kommissarin auch sonst sämtliche Register ihres Könnens. Dabei legt sie so gnadenlos das Innerste ihrer Figur offen, dass es wehtut, hinzusehen.

 

Schon zu Beginn ist diese Erin Bell ganz unten, eine von Kollegengemiedene Trinkerin und Quasi-Obdachlose, die Mann und Tochter verlassen hat und ziellos durchs giftig ausgeleuchtete L.A. driftet. Als bei einem Mordopfer eine lila gefärbte Banknote gefunden wird, erwacht Erin aus ihrer Lethargie und behauptet, der vor 17 Jahren untergetauchte Bankräuber und Mörder Silas sei zurück. Weil ihr niemand glaubt, ermittelt sie auf eigene Faust.

Komplexe, unbequeme Rollen

Nur oberflächlich betrachtet handelt es sich bei „Destroyer“ um einen konventionellen Cop-Thriller. Der tragische Krimi grenzt sich mit virtuos verschränkten Zeitebenen von routinierter Hollywood-Actionware ab, aber auch durch seine gegen jede Konvention agierende Protagonistin. Nicole Kidman überzeugt allein mit Psychologie – keine Selbstverständlichkeit in einem Geschäft, in dem Schauspielerinnen jenseits der 35 schon als Veteranen gezählt werden und Mimikfalten als K.O.-Kriterium für Nahaufnahmen gelten. Kidmans aktuelle Auftritte in „Destroyer“ oder in Joel Edgertons Familiendrama „Der verlorene Sohn“ scheinen einem klugen Konzept zu folgen. Seit ihrer Trennung von Tom Cruise im Jahr 2001 entscheidet sich die 1967 in Honolulu auf Hawaii geborene Australierin immer häufiger für komplexe, unbequeme Rollen und versucht so womöglich ihr Leinwandüberleben jenseits der magischen Marke zu sichern.

Neben Tom Cruise, der sie für Tony Scotts schmalspuriges Rennfahrerdrama „Tage des Donners“ 1990 nach Hollywood holte, spielte Kidman in der öffentlichen Wahrnehmung stets die zweite Geige. Dabei zeigte sie schon im Gangsterepos „Billy Bathgate“ (1991) oder in Gus van Sants Mediensatire „To die for“ (1995) ein Faible fürs Ruppige. Dem Durchbruch als Charakterdarstellerin stand damals vielleicht auch ihre außergewöhnliche Schönheit im Weg, die sie trotz ihrer stattlichen Körpergröße von 1,80 Meter für typisch weibliche Rollenmuster prädestinierte.

Den Oscar bekam sie für ein Maskenspiel

Über die Beschränkungen, die Kidman das Leben an der Seite des Scientologen Cruise brachte, wurde viel spekuliert. Zeitweilig überlagerte medialer Tratsch die starken Leistungen, wie sie Kidman etwa unter der Regie Stanley Kubricks im erotischen Psychothriller „Eyes Wide Shut“ (1999) lieferte. Die kongeniale Adaption einer Novelle von Arthur Schnitzler erzählt die Geschichte eines Ehepaars, das sich – angetrieben von erotischen Fantasien – in eine handfeste Krise manövriert. Kubrick besetzte die Rollen bewusst mit einem echten Ehepaar, um schamlose Nähe am Set herzustellen. Prompt wurde „Eyes Wide Shut“ aufgrund des authentischen Spiels zum Hit. Fürs Ehe-Aus von Kidman und Cruise sollen die zehrenden, 17 Monate dauernden Dreharbeiten angeblich mitverantwortlich sein. Während die Medien die Scheidung genüsslich ausschlachteten, witzelte Kidman in David Lettermans Late Show 2001 lakonisch über ihren wesentlich kleineren Ex-Gatten, sie könne nun wieder High-Heels tragen.

Ihr fast ätherisch anmutendes Äußere verlieh ihr als schwindsüchtige Konkubine in Baz Luhrmans Musical „Moulin Rouge“ ungeheure Glaubwürdigkeit, ebenso in Alejandro Amenábars Mystery-Thriller „The Others“, wo sie als einsame Seele mit zwei schwerkranken Kindern in einem Herrenhaus umgeht. Diese Filme brachten ihr Nominierungen und Auszeichnungen ein. Den Oscar bekam sie 2002 aber für ihre Darstellung der äußerlich unscheinbaren Dichterin Virginia Woolf in Stephen Daldrys Literaturverfilmung „The Hours“. Eine Maske verfremdete Kidmans Züge bis zur Unkenntlichkeit, trotzdem drang ihr Spiel durch. In der Realität verzieh man ihr dagegen nicht, dass sie den eigenen Alterungsprozess mit Botox anzuhalten versuchte. Hämisch registrierte die Öffentlichkeit, wie Kidmans feines Gesicht zeitweise zur starren Fratze wurde. Die Tragik dieses übersteigerten Jugendwahns, der sich aus den Gesetzen Hollywoods speiste, wollten hingegen nur wenige sehen.

Die Suche nach einer Nische

Bei der Wahl ihrer Rollen bewies Kidman Geschmack, sie erweiterte ihren darstellerischen Horizont mit Rollen wie der Gangstertochter Grace in Lars von Triers bahnbrechendem Filmexperiment „Dogville“ (2003), als ferngesteuerte Hausfrau in der Horrorfarce „Die Frauen von Stepford“ (2004) oder als wehrhafte Gouvernante in Sofia Coppolas „Die Verführten“ (2017). Mit „Destroyer“ setzt sie diesen Weg konsequent fort. An die Massen richtet sich Kusamas düsterer Fiebertraum über eine innerlich abgestorbene Antiheldin nicht; weil die Zukunft des Kinos aber vermutlich in Nischen zu suchen ist, tut eine versierte Mimin wie Nicole Kidman gut daran, eine solche zu besetzen.

Destroyer. USA 2019. Regie: Karen Kusama. Mit Nicole Kidman, Toby Kebbell. 122 Minuten. Ab 12 Jahren.