Im Kino startet am 1. Oktober das Abtreibungs-Drama „Niemals selten manchmal immer“. Es zeigt, wie Mädchen sich in der Männerwelt ihrer Haut erwehren müssen.

Stuttgart - Was Frauen an Belästigungen und Übergriffen durch Männer ertragen, ist durch die Metoo-Debatte ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gerückt. Besonders hart trifft es junge Frauen, die erst lernen müssen, sich zu wappnen. In ihrem Spielfilmdrama „Niemals selten manchmal immer“ wirft die New Yorker Regisseurin Eliza Hittman zwei 17-Jährige in eine Lebenskrise, die sie notgedrungen allein bewältigen – den Gefahren am Wegesrand zum Trotz.

 

Die 17-jährige Autumn (Sidney Flanigan) leidet: Ein Kerl, den sie liebt, hat sie fallen lassen und nun nur noch anzügliche Gesten für sie übrig – er bezeichnet sie gar öffentlich als „Schlampe“. Und es kommt noch schlimmer: Sie ist auch noch schwanger. In Autumns Heimatkaff in Pennsylvania ist die Beratung eher „pro Life“ als „pro Choice“, die Ärztin zeigt ihr ein Video, in dem ein Mann den Segen der Mutterschaft preist – aber kein Wort darüber verliert, dass minderjährige Mütter oft zu Alleinerziehenden in prekären Umständen werden, weil ihr Ausbildungs- und Selbstfindungsweg durch das Kind beschränkt wird.

Auf den Straßen der Stadt: Freiwild

Außerdem müssten die Eltern in die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch einbezogen werden – in Autumns Fall ihre alleinerziehende Mutter und ihr ungehobelter Stiefvater. Also fährt sie, begleitet von ihrer hübschen Cousine Skylar (Talia Ryder), mit dem Bus nach New York City in der Hoffnung, dort ihr Recht auf Selbstbestimmung zu finden. Natürlich sind die beiden altersgemäß desorganisiert und haben zu wenig Geld für ein Hotel. So werden sie auf den Straßen der Stadt zu einer Art Freiwild.

Hittmans Film ist nicht plakativ, die Bedrohung bleibt meist unterschwellig: Sie zeigt ganz ruhig und sachlich, was Mädchen alles begegnen kann. Ein übergriffiger Chef im Supermarkt, der die abendliche Geldübergabe für Berührungen nutzt, mittelalte Kerle an der Kasse, die eine 17-Jährige zu ihrer Grillparty einladen wollen und das deutliche „Nein“ in deren gesamter Haltung nicht verstehen wollen, ein aufdringlicher Typ im Bus, der nicht lockerlässt, bis er eine Telefonnummer hat, ein Mann in der nächtlichen U-Bahn, der sie anstarrt und zu masturbieren beginnt – kleine, unangenehme Ereignisse summieren sich zu einem vielsagenden Gesamtbild.

Intime Fragen als Routine

Die vielleicht krasseste Sequenz ist das Vorgespräch in der Abtreibungsklinik, in der eine rührend fürsorgliche Mitarbeiterin Autumn intime Fragen stellt: Hat der Erzeuger des Kindes sie bedroht? Hat er sie zu sexuellen Handlungen genötigt, die sie nicht wollte? Die möglichen Antworten lauten: „niemals“, „selten“, „manchmal“ oder „immer“. Hier wird das Ausmaß klar: Frauen müssen solche Fragen routinemäßig beantworten, Dutzende jeden Tag allein in dieser einen Klinik.

Da kommen selbst der stets abgebrüht wirkenden Autumn die Tränen, darüber sprechen möchte sie aber nicht. Überhaupt sind die Mädchen sehr schweigsam, während sie sich durch das aktuelle Amerika kämpfen, in dem sie sich permanent ihrer Haut erwehren müssen. Skylar bemüht sich um ihre verstockte Cousine, und als das Geld vorzeitig ausgeht, stehen sie vor schwierigen Entscheidungen.

Ein Silberner Bär in Berlin

Auf der diesjährigen Berlinale zählte der Film zu Höhepunkten im Wettbewerb und bekam verdient den Großen Preis der Jury. „Ich hoffe, die Leute bekommen einen ehrlichen Eindruck davon, dass das keine leichte Entscheidung und auch keine leichte Sache ist“, sagte Flanigan bei der Pressekonferenz zum Film. „Abtreibung sollte nicht so stigmatisiert sein, sondern als regulärer medizinischer Eingriff gesehen werden.“ Ryder ergänzte: „Wir haben großes Glück, dass wir in Zeiten leben, in denen man junge Frauen ermutigt, ihre Meinung zu sagen, und dass man ihnen auch zuhört. In der Vergangenheit war das Frauen nicht vergönnt.“

Zu verdanken haben sie das unter anderen der jüngst verstorbenen Bürgerrechtlerin und Supreme Court-Richterin Ruth Bader Ginsberg, die sich jahrzehntelang für Selbstbestimmung und Gleichberechtigung stark gemacht hat. Donald Trump und seine Republikaner wollen das Rad der Entwicklung nun zurückdrehen und Ginsbergs Platz am Obersten Gerichtshof der USA mit der strikten Abtreibungsgegnerin Amy Coney Barrett besetzen. Damit würden sie auf Jahrzehnte hinaus eine rechtskonservative Mehrheit zementieren. Und Amerikanerinnen müssen womöglich bald wieder nach Kanada oder gar nach Mexiko reisen, wenn sie eine ungewollte Schwangerschaft abbrechen wollen.

Niemals selten manchmal immer. USA 2020. Regie: Eliza Hittman. Mit Sidney Flanigan, Talia Ryder. 102 Minuten. Ab 6 Jahren. Ab 1. Oktober, Atelier am Bollwerk (auch OmU).