Der US-Regisseur Adam McKay zeigt, wie der Vizepräsidenten Dick Cheney die Machtbalance in Washington ausgehebelt hat.

Stuttgart - „Woran glauben wir“, fragt der Praktikant Dick Cheney in den 70er Jahren den jungen Kongressabgeordneten Donald Rumsfeld. Dieser antwortet nicht, sondern bekommt einen heftigen Lachanfall und verschwindet in seinem Büro. Die brillant inszenierte Szene in Adam McKays Polit-Satire „Vice“ bringt auf den Punkt, wofür diese Männer standen, die Anfang der Nullerjahre die Machtbalance in Washington ausgehebelt haben: für eine rigorose neoliberale Klientelpolitik auch zum eigenen Vorteil.

 

Rumsfeld geriet wegen seiner ruppigen Rechtsaußen-Attitüde zunächst ins Abseits in der damals noch gemäßigten republikanischen Partei, Cheney aber wurde 1975 unter dem US-Präsidenten Gerald Ford zum jüngsten Chief of Staff im Weißen Haus – und 2001 der mächtigste Vizepräsident aller Zeiten hinter dem marionettenhaften George W. Bush. Cheney war es auch, der Rumsfeld als seinen Komplizen zurückholte und zum Verteidigungsmininster machte. Die beiden waren Meister auf dem Gebiet der „Fake News“: Nach dem 9/11-Terror zogen die USA 2003 gegen den Irak zu Felde mit der Behauptung, dieser verfüge über Massenvernichtungswaffen, was sich als große Lüge herausstellte. Wahr ist, dass der Öl- und Militärkonzern Halliburton, dessen CEO Cheney in den 90ern war, an diesem Krieg Milliarden verdient hat. Wahr ist auch, dass Cheney unter dem Stichwort „Homeland Security“ die Bürgerrechte in bis dahin ungekannter Weise eingeschränkt hat.

Sam Rockwell macht George W. Bush zum Luftikus

All das ist lange bekannt, eine äußerst schillernde Zusammenfassung hat der Dokumentarfilmer Michael Moore 2004 unter dem Titel „Fahrenheit 9/11“ abgeliefert. Adam McKay nun erzählt Cheneys komplette Biografie als böse Satire und großes Schauspielerkino einem starken Ensemble. Auf gespenstische Weise verschmilzt Christian Bale mit dem Chamäleon-Charakter des nach außen stets unauffälligen Dick Cheney, der freundlich wirkt, aber im Zweifel nicht einmal vor seiner lesbischen Tochter haltmacht, wenn durch deren sexuelle Orientierung sein persönliches Fortkommen auf dem Spiel steht. Amy Adams als Cheneys Ehefrau Lynne agiert noch hinter ihrem Mann als eine Art Lady Macbeth, die ihn mit knackig rechtskonservativen Einlagen sogar im Wahlkampf vertritt, wenn er unpässlich ist. Steve Carell macht aus Donald Rumsfeld genau den kalt lächelnden, zynischen Menschenverachter, als der er stets erschien. Sam Rockwell schließlich gibt George W. Bush den Gestus des zur Präsidentschafts-Kandidatur genötigten, desinteressierten Luftikus, der e nun jemanden sucht, der im Hintergrund den Job für ihn macht. Rockwell imitiert in der Originalfassung sogar Bushs aufgesetzt raunzigen Kaugummi-Sprech, der cowboyhaft wirken soll und als Maskierung eines verwöhnten Ostküstensöhnchen bei vielen Amerikanern tatsächlich verfing.

Cheney fühlt sich bis zum Schluss im Recht, Rumsfeld lügt, dass sich die Blaken biegen, auch das Bauernofer Colin Powell, der erste afroamerikanische Außenminister der USA, hat seinen unrühmlichen Auftritt vor dem UN-Sicherheitsrat. Hätte McKay einfach seiner Geschichte und den Schauspielern vertraut, wäre ein haarsträubendes Meisterwerk möglich gewesen.

Wer das Kino verlässt, hat die letzten Illusionen verloren

Leider hat der Regisseur geglaubt, seine Darstellung mit einer unruhigen Montage aus dokumentarischen Einsprengseln und einem Erzähler. Dessen Identität bleibt zunächst im Dunkeln und entpuppt sich als schwarzhumoriger kleiner Gag. Anders als etwa Michael Moore gelingt es McKay nur bedingt, seine überreizte Materialschlacht wirklich in den Griff zu bekommen – fokussiert wirkt der überladene und stellenweise unübersichtliche Film vor allem in den beeindruckenden Spielsequenzen, deren Fluss die Montage eher stört und die eines darüber hinausgehenden Kommentars gar nicht bedurft hätten.

Der Wirkung tut das keinen Abbruch. Wer hinterher das Kino verlässt, hat die letzten Illusionen verloren, was politischen Anstand, menschliche Moral und den Zustand der Welt angeht. Zweifellos hat Cheney den Weg freigemacht für den egomanischen Populisten und Wüterich, der aktuell das Weiße Haus bewohnt und Weltfrieden und Wohlstand aufs Spiel setzt, um die Täuschung seiner Wähler immer weiterzutreiben – nicht zum Wohle der Nation, sondern allein um seiner selbst Willen.