Einst Erfinderin, heute Grande Dame des Punk: Regisseurin Lorna Tucker porträtiert Modeschöpferin Vivienne Westwood als rastlose Weltverbesserin und mürrischen Freigeist.

Stuttgart - Lorna Tucker hat ihr Handwerk als Regisseurin unterwegs gelernt, als sie mit Rockbands wie The Cult oder Queens of the Stone Age den Tourbus teilte und Videos drehte. Nun nimmt sie die selbst ernannte Erfinderin des Punk in den Fokus. Doch Vivienne Westwood ist schwer zu fassen. Ungeduldig rutscht die Modeschöpferin auf ihrem Sessel hin und her. Auch mit Ende 70 ist sie schnell gelangweilt – sie habe keine Lust, schon tausendmal erzählte Anekdoten zu wiederholen.

 

Wenn es etwa um die Zeit geht, als Westwood mit ihrem damaligen Ehemann Malcolm McLaren und der Band Sex Pistols den Punk aus der Taufe hob, behilft sich Tucker mit Archivmaterial und zusätzlichen Perspektiven: Die Söhne Ben Westwood und Joseph Corre erinnern sich an das wilde Leben rund um die Boutique in der Londoner Kings Road und der Film schwenkt ins Victoria and Albert Museum, wo Westwoods Kreationen zu Ausstellungsstücken geworden sind. Dieser Wandel von der Sub- zur Massen- und Hochkultur ist einer von zwei erzählerischen roten Fäden. Der andere entspinnt die Lebensgeschichte einer eigensinnigen, widerstandsfähigen, unbeirrbaren Frau.

Mancher Widerspruch ist Westwood bewusst

Tucker hat Westwood drei Jahre lang begleitet. Sie ist mit ihr zur Eröffnung einer Dependance nach Paris und für eine Greenpeace-Aktion bis an den Südpol gereist, hat sie auf ihrem mondänen Anwesen besucht und ihr bei der Arbeit in ihren wuseligen Ateliers über die Schulter geblickt. Es ist das Porträt einer Rastlosen, die nimmermüde für Menschenrechte, Umwelt- und Tierschutz kämpft und für ihr Modeverständnis, das sie für zeitlos hält. Der Widerspruch zwischen ihrem antikapitalistischen Weltbild und ihrem stetig wachsenden Unternehmen ist Westwood bewusst. Es ist ihr längst zu groß geworden. An die Spitze hat sie Carlo D’Amario gesetzt, einen umtriebigen italienischen Kommunisten, der das Chaos ordnen soll.

Anderen Minenfeldern geht Westwood aus dem Weg, allen voran der seltsam symbiotischen Beziehung zur ihrem zweiten Ehemann Andreas Kronthaler. Es ist irritierend und faszinierend, dass sich diese selbstbewusste Frau, die McLaren verließ, weil er sie intellektuell nicht mehr befriedigte, vom launisch arroganten Kronthaler gehörig auf der Nase herumtanzen lässt. Ihren eigenen Unmut leitet sie passiv-aggressiv an ihre Mitarbeiter weiter.

Jahrelang wurde sie belächelt

Westwoods Blick ist stets nach vorn gerichtet, ihre Rückschau nüchtern. Das Aufbegehren der 1970er hätte die britische Gesellschaft nicht angegriffen, sondern ihr geholfen, für Außenstehende demokratisch zu wirken. Wer sollte das besser wissen als sie? Jahrelang vom Establishment belächelt, ja, verspottet, hat die Queen sie zur Dame geadelt. Zur Zeremonie kam sie im Abendkleid, aber ohne Unterwäsche. Sie trage nie welche. Diese trotzig-rotzige Haltung vermittelt Tucker nur bedingt. In den ersten Minuten schwingt das Lebensgefühl der Swinging Sixties in der dynamischen Montage mit; danach filmt und schneidet sie das kreative Durcheinander in penibler Ordnung. Der lieblos ans Ende geklatschten Lobhudelei durch Prominente hätte es nicht bedurft. Wie Westwood die Welt herausfordert, hat man da längst kapiert.