In einer schillernden Satire entlarvt der schwedische Filmemacher Ruben Östlund bürgerlichen Selbstbetrug. Im Zentrum des Films „Square“ steht ein Museumskurator, dessen luxuriöses Leben zunehmend außer Kontrolle gerät.

Stockholm - Ausgerechnet als er ein Mal Zivilcourage nicht nur in wolkigen Reden einfordert, sondern selbst zeigt, wird der Museumskurator Christian das Opfer von Trickbetrügern. Mit dieser kleinen, in atemlose Spannung eingehüllten Episode setzt der schwedische Filmemacher Ruben Östlund den Ton für eine schillernde Satire. So ausgeklügelt ironisch sind bürgerliches Gut-gemeint-Sein, wohlfeile Ideale, intellektueller Selbstbetrug und die Verlogenheit des Kunstbetriebs lange nicht mehr entblößt worden.

 

Vollmundig kündigt Christian ein Kunstwerk vor dem Museum an: Ein kleines gepflastertes Quadrat namens „The Square“, das nach dem Willen der jungen Künstlerin einen Zufluchtsort darstellt, „an dem Vertrauen und Fürsorge herrschen. Hier haben alle die gleichen Rechte und Pflichten.“ Der stets hip gestylte Christian selbst beobachtet andere Menschen am liebsten aus geschützten Räumen heraus: Aus der Welt des Museums, in der soziale Realität allenfalls als Anspielung in Kunstwerken bestaunt wird, aus seinem Luxus-Apartment mit Panoramablick, aus seinem geräuschlosen Tesla, mit dem er durch die Straßen Stockholms gleitet wie ein zahnloses Raubtier.

Eine Gorilla-Performance läuft aus dem Ruder

Östlund zerlegt diesen nur scheinbar sauberen Strahlemann und nur scheinbar sanften Karrieristen, dem der Däne Claes Bang die Öberflächenaura eines Wichtigtuers ohne Tiefe verleiht, der Krisen nicht löst, sondern nur gegen sie ankläfft. Erst sucht Christian auf eigene Faust via Ortungsfunktion nach seinem gestohlenen Handy und bringt dadurch ein Kind in eine missliche Situation; dann engagiert er zwei überambitionierte Agentur-Weichbirnen, die ihm ein virales Video stricken sollen, stattdessen aber für einen äußerst peinlichen Skandal sorgen; schließlich läuft bei einer Spendengala die Gorilla-Performance eines Russen aus dem Ruder, der zunächst nur so tut, als würde er betuchte Gönner und deren Gattinnen barbarisch bedrängen – dann aber Ernst macht.

Der US-Stuntman und Bewegungschoreograf Terry Notary, der bei „Avatar“, der „Hobbit“-Reihe und als böswilliger Schimpanse Rocket bei „Planet der Affen“ mitgewirkt hat, zeigt hier eine wirklich furchteinflößende Darbietung: Mit äffischen Lauten und Gesten hangelt er sich durch den Saal, springt unvermittelt auf Tische und mustert die Anwesenden mit dem Lächeln eines geübten Jägers, ehe er wählt. So atavistisch die Situation anmutet, so existenziell sind die Emotionen, an die sie in der Gegenwart rührt: Der kalte Schauer des Gejagtwerdens schwappt in den Kinosaal, wird physisch erlebbar. Östlund bietet breiten Interpretationsspielraum an: Vorzivilisatorische Reflexe sind auch heute noch alles, was das Tier namens Mensch im Notfall hat, eine für überwunden gehaltene Gefahr sorgt für besonders intensives Erleben in einer zeitgenössischen Emotionswüste, und geradezu verwegen mutet die Vorstellung an, vermögende Großbürger könnten in einer Art Rollenumkehr auch einmal die Beute sein.

Nassforsche Agentur-Hipster zündeln mit einem Videoclip

Die beiden nassforschen Agentur-Hipster sind präzise gestaltete Karikaturen, die einander in beinharter Rivalität bekriegen, in einer einmal hergestellten Hierarchie dann aber einträchtig zündeln, ohne jegliche Skrupel – was freilich nur möglich ist, wenn Auftraggeber vorher nicht richtig zuhören. Wer das für übertrieben hält: Gerade erst hat die reale Sozialdemokratie in Österreich unter anderem deswegen die Wahl verloren, weil ein hochbezahlter Schaumschläger die Konkurrenz in den sozialen Medien mit einer Schmutzkampagne zu denunzieren versuchte.

Eine besonders zynische Figur ist Christians engster Mitarbeiter Michael, der seinen Boss in freundschaftlicher Atmosphäre aufstachelt, sich aber sofort ohne jede Loyalität in die Büsche schlägt, wenn es dann brenzlig wird. Und Elisabeth Moss, bekannt aus den Serien „Mad Men“ und „The Handmaid’s Tale“, spielt eine US-Kunstkritikerin, die von der ersten Sekunde an ausstrahlt, wie anstrengend sie unter der gewinnenden Außenhaut ist – was Christian nicht davon abhält, ihr ohne große Lust in die Falle zu gehen.

Die Goldene Palme hat Östlund beim Festival von Cannes bekommen für seine sehenswerte Satire, die in vielen Details grandios, insgesamt aber ein wenig zu lang geraten ist. Ein Quadrat von vier mal vier Metern als letztes Refugium für Toleranz, Anstand und ein verträgliches Miteinander ist ein Symbol, das noch stärker wird, wenn man gelangweilten Handwerkern dabei zuschauen darf, wie sie es mit einem Minibagger installieren.