Der Film „Die Eiserne Lady“ mit Meryl Streep erzählt weniger von der früheren Premierministerin Margaret Thatcher als von dem Ringen um die Erinnerung.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Der hiesige Kinofreund lebt bekanntlich in einem Land, da fremdsprachige Filme fast immer in synchronisierter Fassung auf die Leinwand kommen. Es sind aber ja auch nur wenige Menschen so sprachversiert, dass sie amerikanische, französische oder russische Dialekte in nicht-synchronisierten Fassungen wirklich gut verstehen könnten. Und auch das ständige Schielen auf Untertitel beeinträchtigt letztlich den Filmgenuss.

 

Mit der „eisernen Lady“ kommt nun aber ein Film in unsere Kinos, bei dem nur jedem, der des Englischen einigermaßen mächtig ist, der Besuch einer Vorstellung in Originalfassung unbedingt zu empfehlen ist. Denn nur in dieser Fassung und mit den Originalstimmen aller Beteiligten wird man jene Leistung der Hauptdarstellerin ganz würdigen und genießen können, für die Meryl Streep vor drei Tagen völlig zu Recht mit dem Schauspiel-Oscar ausgezeichnet wurde.

Mit perfektem Oxford-Englisch

Streep spricht hier nämlich punktgenau und makellos jenes für die Schulunterricht-geformten Ohren einzig perfekte Oxford-Englisch, das Amerikaner eigentlich so gar nicht über die Lippen bringen. Und diese Sprechmelodie hat sie sich deswegen so mühsam erarbeitet (wie sie berichtet, vor den Dreharbeiten in vierwöchiger Klausur mit einem Sprechtrainer), weil diese so typisch war für die frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher. Weil sie so typisch sein musste: nur mit einem lupenreinen Oxford-Englisch, dessen Erlernen die Politikerin einem Stipendium zu verdanken hatte, konnte sie den Makel ihrer sozialen Herkunft aus einer kleinen Londoner Kaufmannsfamilie wettmachen und dort mitspielen, wo sie mitspielen wollte: in der großen Politik der englischen konservativen Partei. Dort, wo in den siebziger Jahren vor ihr ausschließlich Männer aus besten Kreisen gepflegte Herrendebatten führten. Lupenrein, ohne Akzent.

Sicher, da war noch ein anderer Makel, den Margaret Thatcher bei keinem noch so gutem Training loswerden konnte. Sie war eine Frau. Und deswegen eigentlich ohne Karriereaussichten. Die Regisseurin Phyllida Lloyd erzählt in ihrem Film „Die eiserne Lady“ die Geschichte der Margaret Thatcher darum vor allem als Frauengeschichte – weil sie das zu jener Zeit schlicht und einfach auch war.

Alles, was die historische Figur Thatcher politisch bewirkt hat und weswegen sie bis heute so umkämpft bleibt, eben die konservativ-marktliberale Revolution mit Entmachtung der Gewerkschaft und Gesellschaft, der Bekämpfung von Minderheiten und einer Großmachtpolitik rund um den Erdball, kommt in diesem Film zwar zur Sprache. Aber die Bewertung der historisch-politischen Rolle Thatchers aus heutiger Sicht ist nicht wirklich sein Thema. Und darum ist „Die eiserne Lady“ so umstritten, sowohl von linken Thatcher-Feinden wie von rechten Thatcher-Verklärern.

Hier geht es nicht um historische Wahrheit

Aber bei genauerem Hinsehen ist „Die eiserne Lady“ auch gar kein klassisches Biopic. Kann es auch gar nicht sein bei jener Perspektive, die der Film einnimmt. Denn was wir zu sehen bekommen, ist von Anfang an die alte, weit über achtzig Jahre alte Margaret Thatcher. Eine Frau, die an Alzheimer leidet, die viel Großes aus ihrem Leben im Sinn hat, der all das Große aber für immer zu entschwinden droht. In diesem ausführlich dargestellten Alltag blitzen die Erlebnisse von früher wie Flashbacks auf, verdichten sich zu diesem oder jenem Erzählstrang, um gleich wieder verloren zu gehen. Nein, hier geht es nicht um historische Wahrheit, sondern um persönliche Erinnerung. Anfechtbar, keine Frage. Aber schlüssig.

Eine derartige Filmerzählung ist zweifellos heikel und leicht zum Scheitern verurteilt – wenn nicht auch hier die Darstellerin Meryl Streep ihr ganzes Können, ihre große Kunst zum Einsatz bringen würde. Ihr Spiel einer einst mächtigen Frau ist ein Kammerspiel der Vergänglichkeit, ängstlich um Form und Halt ringend, ständig sich selbst beobachtend und auf der Hut vor den tückischen Angriffen des Alltags. Nein, wer die „Eiserne Lady“ gesehen hat, wird darum seine schon bestehende Meinung über die Ära Thatcher nicht revidieren. Und trotzdem bereichert sein – um das kulturelle Panorama einer verflossenen Zeit. Und um die Schauspielkunst von Meryl Streep.

Die Eiserne Lady. Großbritannien 2011.Regie: Phyllida Lloyd. Mit Meryl Streep,Jim Broadbent. 104 Minuten. Ab 6 Jahren.Von Donnerstag an in den Kinos.