Eine schnelle Nummer am Parkplatz, Swingergelage am Ufer: der Kirchentellinsfurter Baggersee ist ein Treffpunkt für Freiluftsex. Eine neue Polizeiverordnung soll das Treiben beenden. Zum Leid von Stammgästen sind auch Hunde und FKK verboten.

Kirchentellinsfurt - Rückwärts rollt der VW Golf am späten Nachmittag in eine Lücke auf dem Parkplatz am Baggersee. Ein älterer Herr bleibt im Auto sitzen, minutenlang, der Motor ist längst abgestellt, er blickt suchend um sich. „Rückwärts einparken ist das Zeichen“, sagt Bernd Haug, Bürgermeister von Kirchentellinsfurt im Kreis Tübingen, und seiner Stimme ist der Ärger anzuhören. „Sehen Sie, da kommt schon ein anderer. Der ist auf der Suche.“ Haug kennt die Spielregeln des Parkplatzes, er kennt die Gesichter derer, die zu den Dauerbesuchern gehören. „Das Verrichtungswäldchen haben wir ausgelichtet“, erzählt der Bürgermeister und zeigt auf ein paar hochgewachsene Bäume. Einige Meter weiter wird das Gehölz dichter, uneinsehbarer. „Da hinten ist der Schwulendschungel, man schlägt sich in den Wald hinein.“

 

Der Bürgermeister einer Kommune, die auf etlichen einschlägigen Sexseiten ganz oben rangiert, hat genug vom wilden Treiben rund um das Wasser. In „Teufelchens Sexforum“ wird der Baggersee bei Tübingen als „immer geil“ beworben. Und auf „poppen.de“ heißt es: „Sehr gemütlich und ungestört. Immer sehr hübsche und junge Männer!“ Auf diese Art Werbung für seine kleine Gemeinde, die alle nur K’furt nennen, könnte der Rathauschef im dunkelblauen Jacket gut verzichten. „Der See hat eine Prägung, die intolerabel ist“, sagt Haug und kurvt um Begrifflichkeiten herum, die er nicht gerne in den Mund nimmt.

Man könnte auch sagen: der K’furter Baggersee an der B 27 ist einer der wichtigsten Treffpunkte für Freunde des Freiluftsex’ im Land, selbst Pornos wurden dort gedreht – und das seit Jahrzehnten. Da gibt es die schwulen Cruiser, die im Auto die Zufahrtsstraße entlangfahren auf der Suche nach Sexpartnern. Pärchen verabreden sich zum Swingergelage. Und einsame Heterosexuelle tummeln sich im Gebüsch, um wenigstens mal zuschauen zu dürfen.

Der Tübinger Polizeichef warnt vor Verhältnissen wie an Silvester in Köln

Vor einem „kriminellen Ort“, warnte der Tübinger Polizeichef Martin Zerrinius. „Was in Köln Silvester war, haben Sie hier im Kleinen vor Ort“, sagte er im Mai bei einer Ratssitzung in Kirchentellinsfurt. Eine Aussage, die die Sprecherin des Reutlinger Polizeipräsidium wenig später relativiert. „Der See ist kein Kriminalitätsschwerpunkt.“ Alle Straftaten zusammengenommen – vom Einbruch bis zur Erregung des öffentlichen Ärgernisses – lägen jährlich im einstelligen Bereich. Zahlen, die sich in den letzten fünf Jahren nicht groß verändert hätten. Mit Köln, wo es zu sexuellen Übergriffen gekommen war, könnten die Verhältnisse mitnichten verglichen werden. „Jeder weiß, dass am See einvernehmlich sexuelle Kontakte geknüpft und ausgelebt werden.“ Die Anlage sei als Szenetreff beliebt, Anzeigen gebe es wenige.

Alarmiert von der Worten des Tübinger Polizeichefs, beschlossen die Gemeinderäte in Kirchentellinsfurt mit zwei Gegenstimmen zu Beginn der Badesaison eine restriktive Polizeiverordnung. Mit Hilfe eines privaten Sicherheitsdienstes wird sie umgesetzt. Verboten ist das Nacktbaden, auch nächtliche Aktivitäten sind unerwünscht. Zwischen 22 Uhr und 6 Uhr morgens darf das Gelände nicht betreten werden. Ein Anstandspassus zielt auf die Freiluftsexszene ab: „Der Aufenthalt von Personen ist nur in der Art und Weise gestattet, wie sie den Sitten und Anstand im üblichen Sinne entspricht“, heißt es in der Rechtsverordnung. Selbst das Grillen auf der Wiese und Hunde – egal, welcher Größe – sind verboten. Wer sich nicht daran hält, hat mit Ordnungsstrafen zu rechnen. Die neuen Regeln zielen in viele Richtungen. Sie treffen sowohl Jugendliche, die gern einen Einweggrill mitbringen, als auch Sextouristen, die von weither kommen.

Ein Pärchen treibt es munter auf der Motorhaube eines Porsche

Das Konzept greife, versichert Bürgermeister Haug, es sei ruhiger geworden, auch wenn er immer noch Beschwerden bekomme. Neulich habe ihn eine Frau Ende 50 angerufen und sich über einen Exhibitionisten beklagt, der sie um einen Sexdienst gebeten habe. Und der städtische Vollzugsbeamte, der vor allem Strafzettel verteile, habe nicht fassen können, was er auf dem Parkplatz gesehen habe: einen Mann und eine Frau, die sich auf der Motorhaube eines Porsches vergnügt hätten. Die Handykamera des Ordnungshüters, der den Vorfall dokumentierte, animierte sie erst recht.

Von den Umtrieben am Ufer ist an diesem Sommertag nichts zu sehen. Auf der Wiese haben es sich Familien bequem gemacht, Schüler liegen auf Badetüchern und hören Musik. Ein Eisverkäufer mit einem eigenen Bus preist seine Kreationen an. Bürgermeister Haug geht an den Verbotsschildern vorbei – ein durchgestrichener Grill, ein durchgestrichener Hund – und steuert das Schilf an. Dort hatte der Sicherheitsdienst kurz zuvor Nacktbader verwarnt, ihnen klar gemacht, dass ein Bußgeld über 55 Euro drohe. Die FKKler konnten die Regeln nicht fassen. „Wir stören niemanden, wir baden nur gerne nackt“, schimpfte das Pärchen und zog sich an.

Ein überzeugter FKKler ärgert sich darüber, das auch Nacktbaden verboten wurde

Der Uferpfad ist schmal, Bürgermeister Haug bahnt sich seinen Weg vorbei an Stellen, wo regelmäßig Vögel brüten, er zeigt auf das Knabberwerk eines Bibers. „Das Südufer ist Naturschutzzone“, sagt Haug, das Betreten sei verboten, nur habe sich niemand daran gehalten und die Kommune über Jahrzehnte so einiges toleriert.

An einer lauschigen Ecke, wo das Baden gerade noch erlaubt ist, hat Dieter Weiß sein Handtuch ausgepackt und das Mountainbike ins Gras gelegt. Er ist überzeugter FKKler, seit 40 Jahren jeden Sommer am See, oft mit seiner Frau. „Das Südufer war mein Wohnzimmer“, sagt der 58-Jährige, er trägt eine schwarze Badehose, trinkt zwischendurch Sprudel. Harte Strafen für Exhibitionisten seien nötig, versichert er gegenüber dem Bürgermeister, aber die Art und Weise, wie der Sicherheitsdienst die Leute schikaniere, könne er nicht verstehen.

„Hier wird nicht mit Augenmaß kontrolliert“, sagt Weiß, von Beruf Polizist und am See rein privat unterwegs. Er erzählt von zwei Schülerinnen mit einem kleinen Hund, die von den Sicherheitsleuten viel zu hart angegangen worden seien. Dass man den Sex verbiete, sei konsequent, aber nach 14 Tagen sei das Südufer entvölkert gewesen. „Da findet nichts mehr statt“, sagt Weiß und plädiert für mehr Fingerspitzengefühl bei den Kontrollen, sonst komme bald kein normaler Badegast mehr.

Die Sonne verschwindet halb hinter Wolken, es ist drückend heiß. Bürgermeister Haug kommt ins Schwitzen. Die neuen Regeln will er sich nicht verwässern lassen. „Der Zustand am See hat sich verbessert, da lagen früher überall Kondome und Taschentücher“, sagt er und macht sich auf den Rückweg zum Parkplatz. Dort rollen die älteren Männer an, allein im Auto, diskret, auf der Suche nach einem Partner für einen kurzen Ausflug in den Wald.