Am Tag nach dem fulminanten Wahlsieg von Pascal Bader bei der Oberbürgermeisterwahl in Kirchheim hat die Suche nach Erklärungen begonnen.

Kirchheim - Kopfschütteln – das ist die am häufigsten praktizierte gymnastische Übung in Kirchheim am Tag nach dem Erdrutsch, den das Ergebnis der Oberbürgermeisterwahl in der Stadt ausgelöst hat.

 

Ungläubiges Kopfschütteln bei den Anhängern rund um den parteilosen Herausforderer Pascal Bader, der am Sonntag, 1. Dezember, mit 70,9 Prozent Zustimmung das Kirchheimer Rathaus erobert hat.

Enttäuschtes Kopfschütteln bei den Unterstützern der SPD-Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker, die nach 16 Jahren in Amt und Würden krachend abgewählt worden war.

Verwundertes Kopfschütteln bei neutralen Beobachtern, die nach einer Erklärung dafür suchen, wie einem öffentlich bisher nicht in Erscheinung getretenen Kandidaten dreieinhalb Wochen Turbowahlkampf genügen können, um eine angesehene Politikerin vom Hof zu jagen.

Wahlniederlage „extrem bitter“

Zu letzteren gehört der Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel, zu dessen Nürtinger Wahlkreis auch Kirchheim zählt. „Ich habe erst in den letzten Tagen einen Wechsel für möglich gehalten, wenn auch nicht in dieser Deutlichkeit“, sagt der Grünen-Politiker. Die Wahl habe gezeigt, dass Leistung und Verdienst nicht zählten, sondern Ideen, die Bewerber für die Zukunft mitbrächten. „Die Wähler haben Pascal Bader einen großen Vertrauensvorschuss entgegengebracht“, stellt Gastel fest.

Zu den Matt-Heidecker-Unterstützern zählt deren Parteifreund, der Kirchheimer SPD-Landtagsabgeordnete Andreas Kenner. Er bezeichnet die Wahlniederlage vor allem in dieser Deutlichkeit als „extrem bitter“. Er könne das Votum der Wähler und die 28,9 Prozent für Angelika Matt-Heidecker nicht mit der Politik in Kirchheim verbinden, sagt der Abgeordnete. „Das hat eine Politikerin, die 16 Jahre lang, sieben Tage pro Woche für die Stadt gelebt und gearbeitet hat, nicht verdient“, so sein Fazit.

Ein wohl bestelltes Haus übergeben

Ob der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller (Bündnis 90/Die Grünen) ein Anhänger von Pascal Bader ist, lässt sich nur vermuten. Zumindest hat es sich der Minister nicht nehmen lassen, dem neuen Oberbürgermeister noch am Wahlabend im Kirchheimer Rathaus zu gratulieren – ungeachtet der Tatsache, dass sich Untersteller nun bis zum 1. März einen neuen Leiter des Referats „Umwelttechnik, Forschung und Ökologie“ in seinem Haus suchen muss. Denn zu diesem Termin wird der promovierte Volkswirtschaftler Pascal Bader seinen Arbeitsplatz im Stuttgarter Ministerium mit dem Chefzimmer im Obergeschoss des historischen Kirchheimer Rathauses tauschen.

Alle, ob ungläubig, enttäuscht oder verwundert, eint eine Einschätzung: Den größten Gefallen hätte sich die abgewählte Ratschefin getan, wenn sie rechtzeitig erklärt hätte, nicht mehr für eine dritte Amtszeit zur Verfügung zu stehen. Ein Denkmal wäre ihr in der Stadt gesetzt worden, hätte sie von sich aus den Weg freigemacht für eine Nachfolge. Denn auch da sind sich Befürworter und Gegner einig: Angelika Matt-Heidecker übergibt ihrem Nachfolger in Kirchheim ein wohl bestelltes Haus.

Wunsch ist früher als gedacht in Erfüllung gegangen

„Sie hat alles dafür getan, dass es in dieser Stadt ein gutes Zusammenleben gibt“, das sollten die Menschen in Kirchheim nach ihrer Amtszeit über sie sagen. Diese Antwort hat sie auf eine entsprechende Frage bei einer Podiumsdiskussion gegeben. Die Wählerinnen und Wähler haben ihr den Wunsch sechseinhalb Jahre früher als erwartet erfüllt. Sechseinhalb Jahre – das ist das Stichwort, das als Erklärung für die Wahlniederlage am häufigsten herhalten muss. Mit ihren 66 Jahren hätte Angelika Matt-Heidecker im Falle ihrer Wiederwahl von Gesetzes wegen keine komplette, achtjährige Amtszeit mehr absolvieren dürfen. Trotzdem haben sich CDU, Freie Wähler, Grüne und FDP im Gemeinderat mit dieser Aussicht arrangiert und darauf verzichtet, einen Gegenkandidaten zu suchen. Die Wähler nicht – sie sind mit fliegenden Fahnen ins Lager von Pascal Bader übergelaufen, kaum dass dieser seine Bewerbungsunterlagen abgegeben hatte.

Der 49-Jährige hat sich fortan darauf beschränkt, dem indifferenten Wunsch nach frischem Wind in der Stadt Nahrung zu geben, ohne inhaltlich sonderlich konkret zu werden. „Ich kandidiere, weil nach 16 Jahren die Zeit reif ist für neue Ideen, für eine neue Dynamik und einen neuen Stil an der Rathausspitze: nämlich für einen konstruktiven, ehrlichen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt“. Das hat, in den sozialen Medien gekonnt in Szene gesetzt, als Programm ausgereicht, um zwei Drittel der Wähler zu überzeugen – im Verein mit dem wiederholten Versprechen, schnellstmöglich ein neues Hallenbad zu planen und zu bauen. An diesem, seinem einzigen konkreten Versprechen, wird sich Pascal Bader nun messen lassen müssen.