In zentrumsnaher Lage in Kirchheim entsteht Wohnraum für bis zu 900 Menschen. Das Steingau-Quartier gilt inzwischen als bundesdeutsches Vorzeigeprojekt in der Stadtplanung.

Kirchheim - Die Stimmen, die der Kirchheimer Stadtverwaltung „unzulässige Einmischung in den Markt“ und „ideologisierte Stadtplanung“ vorgeworfen haben, sind verstummt. Das Steingau-Quartier, in dem später einmal bis zu 900 Menschen leben werden, ist auf dem Weg zu einem bundesweiten Vorzeigeprojekt. „Wir sind in eine Liste der zehn innovativsten Bauprojekte in Deutschland aufgenommen“, sagt die Kirchheimer Bürgermeisterin, Angelika Matt-Heidecker. Und weil die Innenverdichtung von Städten in Ermangelung von Ausdehnungsflächen auf der grünen Wiese ohnehin gerade angesagt ist, erfährt das Projekt auch Rückenwind vor der eigenen Haustüre. „Wir stehen in Gesprächen, ob das nicht der Kirchheimer Beitrag zur Internationalen Bauausstellung sein kann“, sagt die Rathauschefin.

 

Das französische Viertel in Tübingen hat den Weg gewiesen. „Wir haben am Tübinger Vorbild gelernt – und auch von den Fehlern“, sagt Gernot Pohl, bei dem als Leiter der Abteilung Städtebau und Planungsrecht die Fäden zusammenlaufen. Und es sind viele Fäden: Chamäleon, Lebensreich, Nestbau, Lückenfüller, Waldetagen – so fantasievoll wie die Namen der Baugruppen sind, so fantasievoll und bunt soll die rund 34 000 Quadratmeter große Kleinstadt in der Stadt einmal aussehen. Mit Sozialwohnungen, Penthaus-Terrassen, Clusterwohnungen als aufgepeppte Variante der guten alten Wohngemeinschaft, modernen Büronutzungen und inklusivem Café. „Kein Haus wird wie das andere sein. Jedes hat ein eigenständiges Profil“, verspricht Pohl. Nicht nur architektonisch und von der Nutzung her, sondern auch hinsichtlich des demografischen Querschnitts werde das Steingau-Quartier von Beginn an die Kriterien erfüllen, die in herkömmlichen Neubauvierteln erst in der dritten Generation verwirklicht werden. „So, wie es sich beispielhaft am in den 1920er-Jahren gebauten Paradiesle ablesen lässt. Hier jedoch haben wir den Anspruch, aus dem Stand eine durchmischte Stadt zu bauen – von Null auf Hundert.“

Baugruppen planen entlang der vom Rathaus vorgegebenen Leitplanken

Schlüssel zum bisher praktizierten partnerschaftlichen Miteinander ist nach Einschätzung aus dem Kirchheimer Rathaus der kluge Schachzug gewesen, auf dem Areal Baugruppen zum Zug kommen zu lassen. Diese Baugemeinschaften konnten sich selbst organisieren und ihre Ideen innerhalb der von den Stadtplanern im Rathaus vorgegebenen Leitplanken entwickeln. „Nicht der Bauträger gibt den Grundriss der Wohnung vor, sondern er wird gemeinsam erarbeitet“, sagt Pohl. Das mache die Nachbarschaft im Quartier von Beginn an stabiler und wirke sich auch positiv auf den Stadtraum aus.

Rund zehn Millionen Euro hatte die Stadt nach langen Verhandlungen mit dem Eigentümer, der Nanz-Gruppe, auf den Tisch gelegt und das nur einen Steinwurf vom Bahnhof entfernte Gelände zum 1. Januar 2017 in Besitz genommen. Die Erschließung wird im Sommer abgeschlossen sein, im November geht es in die Tiefe. Wenn die unterirdischen Garagen gedeckelt sind, werden im April 2019 die ersten Kräne im Stadtbild auftauchen.

Städtebaulich wird das Steingau-Quartier für Kirchheim ein Gewinn, davon sind die Akteure überzeugt. Und auch das finanzielle Risiko ist inzwischen überschaubar. „Am Ende werden wir eine schwarze Null schreiben“, ist Angelika Matt-Heidecker überzeugt. Das, und das Ergebnis der ersten Vergaberunden, hat auch die Kritiker im Gemeinderat überzeugt. „Überwältigt und begeistert“, „Lob für den langen Atem der Politik“, „guter und innovativer Weg“ – das sind jetzt die Zitate, die Pohl in der jüngsten kommunalen Beratungsrunde auf seinem Merkzettel notiert hat.