Dagmar Wiebusch macht in ihrem Kircheimer Atelier Mode aus altem Leinen. Ihre Kleider sind ein Spiegelbild der Zeitgeschichte, denn die einstigen Stoffbesitzer haben sie wie Schätze geschützt und über Jahrhunderte weitergegeben.

Kirchheim - Anfangs waren ihr nur die Stoffe wichtig. Doch schon bald begann sich Dagmar Wiebusch für die Geschichten hinter dem Leinen, das die Menschen ihr gaben, zu interessieren. An jedem Stoff, an jedem Leinensack, der oft über Generationen weitergegeben wurde, hängen Familiengeschichten, die von Liebe, Trauer und Krieg erzählen. Es wäre daher untertrieben, nur zu sagen, dass die Kirchheimer Designerin alten Leinenstoffen neues Leben einhaucht.

 

Das Atelier der 60-Jährigen liegt in der Flachsstraße. Ein kleiner, heller Laden in dem die Farben weiß und beige dominieren. Die klassische Damenmode sowie Wohnaccessoires, darunter Kissen und Decken, zeichnen sich dadurch aus, dass sie aus festem, dicht gewebten Leinen sind, so wie man es noch vor dem Ersten Weltkrieg nach alter Handwerkskunst gemacht hat.

Besitzer wissen um die Geschichte ihres Leinens

Ihr ältester Stoff ist aus dem Jahr 1781. Doch die meisten Leinenstoffe, die Dagmar Wiebusch für ihre Kreationen verwendet, stammen aus der Zeit zwischen 1850 und 1920. Manchmal ist das Jahr aufgedruckt, doch meist erfährt sie von den Besitzern die Geschichten dazu. Oftmals sind diese so berührend, dass Wiebusch anfangs kaum die Schere ansetzen konnte. Wie bei dem Leinen einer älteren Dame, die – verwitwet und allein – in einem Dorf lebte. „Sie kam als Vertriebene aus dem Sudetenland und hatte den Stoff in der Nacht vergraben, weil sie nur 20 Kilo an Besitz mitnehmen durfte“, sagt Wiebusch. In der Nacht sei die Frau zurückgekommen, um ihren Stoff wieder auszugraben. Häufig seien es ältere Frauen von denen sie die Stoffe bekomme.

Irgendwann werden die Dachböden nichts mehr hergeben

Als sie ihr Atelier vor 21 Jahren eröffnete, kam sie über Zeitungsanzeigen an die alten Leinenstoffe. Für Wiebusch, die das Nähen von ihrer Mutter gelernt hat, hat altes Leinen etwas Sinnliches. „Das Nähen fällt leicht, und der Stoff ist unglaublich langlebig“, sagt sie. Der Wert, den das Leinen für die Menschen hatte, kommt Dagmar Wiebusch zugute. Denn die Leute von denen sie ihre Stoffe bekommt, hüten diese wie einen Schatz. Trocken gelagert kann die Zeit allein dem Leinen nichts anhaben, weiß Dagmar Wiebusch.

Ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen, hat sich Wiebusch lange nicht getraut. Ihren Traum vom eigenen Atelier und Laden hat die studierte Grafik-Designerin erst mit 40 gewagt. „Ich habe meinen Bausparvertrag aufgelöst und meinen Laden eröffnet“, sagt sie. Es sollte aber zwei Jahre dauern bis es richtig lief. Anfangs verkaufte sie ihre Kleidung daher noch auf Kunsthandwerkermärkten. Mittlerweile geht sie nur noch ein Mal im Jahr auf den Webermarkt nach Haslach. „Dort verkaufe ich sehr gut. Viele Österreicher mögen Leinen und tragen Trachten. Meine Jacken passen da gut dazu“, sagt sie.

Wiebuschs Sachen haben zwar ihren Preis. Doch dafür bekommen die Kundinnen auch Einzelstücke, die Jahrzehnte überdauern. „Das ist fürs Geschäft nicht unbedingt gut, aber mir ist es ein Anliegen, dass die Sachen lange halten“, sagt sie. Wie lange sie allerdings noch an Stoffe kommt, weiß Wiebusch nicht. Irgendwann werden die Dachböden nichts mehr hergeben, fürchtet die Kirchheimerin. Doch dank ihrer Kleider werden zumindest die Geschichten der Menschen weiterleben.