Zwei Familien haben Absagen für ihre Zweitgeborenen in einer Kita in Stuttgart-Plieningen erhalten – obwohl es wohl freie Plätze gab. Sie wehrten sich, machten die Sache öffentlich – und dann passierte tatsächlich etwas.

Klima und Nachhaltigkeit: Julia Bosch (jub)

Plieningen - Rennt der zweijährige Lenni Strohbach vom Esstisch zum Sofa und wirft sich in die Polster, dauert es nur wenige Sekunden, bis die gleichaltrige Pia Horstmann neben ihm zum Liegen kommt. Die beiden Kleinkinder machen an diesem Vormittag alles zusammen: Kaufladen spielen, die Wohnung erkunden, toben. Lenni und Pia kennen sich gut, man könnte sogar sagen, ihr halbes Leben, denn seit einem Jahr spielen sie zusammen in der Kindertagesstätte an der Osumstraße in Plieningen. Ihre Eltern wünschen sich, dass es bei den kleinen Geschwistern Lukas und Mila bald genauso gut klappt. Doch bis zum vergangenen Montag schien es so, als würde dieser Wunsch nicht Realität werden – denn die Eltern bekamen keinen Kitaplatz für die Geschwisterkinder.

 

Hier geht es zu unserem Kita-Kompass für Eltern von Kindern unter 3 Jahren

Die Platznot in den Stuttgarter Kindertagesstätten ist nichts Neues. Allerdings haben Eltern eigentlich gute Chancen, dass Geschwisterkinder in der gleichen Kita aufgenommen werden, in der das erstgeborene Kind betreut wird. Geregelt ist dies durch ein spezielles Punktesystem des Jugendamtes: Geschwister erhalten eine höhere Punktzahl als Kinder, die noch keinen Bruder und keine Schwester in der entsprechenden Kita haben.

Für zwei Kitas braucht es auch zwei Autos

Für die Eltern ist das wichtig. „Wenn unsere Kinder an zwei Orten betreut werden, bräuchten wir auch zwei Autos – bisher kommen wir mit einem Auto zurecht“, sagt Sebastian Horstmann (39). „Wir würden dann auch mehr Feinstaub und Stickoxide produzieren. Und es ist natürlich eine Zeitfrage und damit auch eine Geldfrage. Außerdem wäre es schön, wenn unsere Kinder zusammen betreut werden und nicht auseinander gerissen werden.“

Sabrina Strohbach und ihr Mann Daniel steckten in der derselben Situation wie Sebastian Horstmann und seine Frau Kristina. Sabrina Strohbach wollte im Februar 2020 wieder an ihre Arbeitsstelle zurückkehren. Die 32-Jährige war davon ausgegangen, dass Lukas – genau wie auch ihr erster Sohn Lenni – mit einem Jahr einen Kitaplatz bekommt und sie kurz danach wieder arbeiten gehen kann. Dann erhielt sie den Bescheid der Stadt, dass Lukas auch im Nachrückverfahren keinen Platz in der Kita Osumstraße bekomme habe – und auch sonst nirgendwo.

Laut Kita-Leitung gibt es sechs freie Plätze

Die Eltern haben für die Absagen unterschiedliche Erklärungen erhalten. Zum einen, dass die Kinder nach dem Stichtag 31. Dezember 2018 geboren wurden und deshalb keinen Platz erhalten. Lukas kam im Januar 2019 zur Welt, Mila im März. Zum anderen hieß es, dass es keine freien Plätze in der Kita Osumstraße gebe. Diese Erklärung machte die Eltern stutzig, denn sie haben andere Infos von der Kita-Leitung erhalten, nämlich, dass es sechs freie Plätze gebe.

Die Eltern haben deshalb genau recherchiert. Weil bei beiden Paaren Mutter und Vater berufstätig sind sowie schon ein Kind in der Kita ist, haben sie gute Voraussetzungen. Lediglich Alleinerziehende erhalten noch mehr Punkte in dem Vergabesystem des Jugendamtes. Blieb also die Stichtag-Regelung als Grund. Für Sabrina Strohbach war dies besonders bitter: Ihr Sohn Lukas ist Anfang Januar 2019 geboren. „Das bedeutet, dass ich Lukas einfach nur ein paar Tage zu spät bekommen habe – sonst hätten wir sofort einen Kitaplatz bekommen.“

Kinder aus zwei Kitas brauchen Interimsquartier

Folgt man der Erklärung von Susanne Heynen aus dem Jugendamt lag Sabrina Strohbach mit dieser Einschätzung richtig: „Eine Stichtagsregelung bringt es mit sich, dass Kinder, die nach dem Stichtag geboren wurden, zunächst in dieser Vergabephase nicht berücksichtigt werden“, sagt sie. „Familien, die im Hauptvergabeverfahren keinen Platz für ihr Kind bekommen haben, können davon ausgehen, dass es in der entsprechenden Altersgruppen keine freien Plätze gibt.“

Wohl kein Grund für die Absagen waren die Bauarbeiten in den zwei nahen Kitas Körschstraße und Grüninger Straße: Beide werden abgerissen und neu gebaut, die Kinder müssen in der Zeit wo anders untergebracht werden. Da läge es nahe, die Kinder auf andere Kitas zu verteilen. Laut Heynen ist die Osumstraße aber nicht mehr als Interim vorgesehen. Auch in der Beschlussvorlage zu den Arbeiten in der Kita Grüninger Straße heißt es: „Mittlerweile ist die Kinderbetreuung dort (an der Osumstraße) bereits soweit ausgelastet, dass diese Möglichkeit nicht mehr besteht.“

Brief an OB Kuhn geschickt

Den Familien Horstmann und Strohbach waren die genauen Gründe letztlich gar nicht so wichtig. Sie fühlten sich aber unzureichend informiert und gewissermaßen auch veräppelt. „Das Schlimmste war, dass wir unterschiedliche Aussagen erhielten“, sagt Sabrina Strohbach.

Aus diesem Grund sind die Familien nicht untätig geblieben. Kristina und Sebastian Horstmann haben einen Brief an Oberbürgermeister Fritz Kuhn geschickt. „Wir haben unsere Situation geschildert und ganz direkt gefragt, was die Stadt machen kann, damit wir unser Recht auf einen Kitaplatz nicht einklagen“, sagt Sebastian Horstmann.

Die Frist, die sie dem OB Kuhn gesetzt haben, wäre am Freitag, 30. August, ausgelaufen. Tatsächlich erhielten sowohl die Horstmanns als auch die Strohbachs vier Tage vorher, am Montag, einen Anruf aus der Kita: Beide Geschwisterchen erhalten Anfang 2020 einen Platz. Es scheint so, als hätte der Protest Erfolg gehabt.