Bei der Veredlung von Textilien kommt manchmal ein Kilo Chemie auf ein Kilo Stoff. Viele der Substanzen schaden der Umwelt und womöglich dem Menschen. Dabei gäbe es Alternativen, sagen Verbraucherschützer.

Stuttgart - Baumwolle oder Kunstfaser, das lässt sich am Etikett erkennen. Ungewiss bleiben dagegen die verwendeten Hilfs-, Ausrüstungs- und Farbmittel – obwohl sie einen großen Teil des Textilgewichts ausmachen können und vielfach als gesundheitsschädlich gelten. Zwar verzichten deutsche Produzenten schon lange auf viele der gefährlichen Stoffe – nur wird hierzulande kaum noch Kleidung hergestellt. „Etwa 90 Prozent der in Deutschland verkauften Bekleidung stammt aus dem Import, zum größten Teil aus China, der Türkei und Bangladesch“, sagt Brigitte Zietlow vom Umweltbundesamt (UBA).

 

„Jeder will eine Jacke mit hoher Wassersäule, also extrem wasserabweisendem Gewebe, auch wenn er nur zwei Minuten bis zur U-Bahn läuft“, sagt der UBA-Chemikalien-Experte Christoph Schulte. „Über die Chemie dahinter sind die wenigsten informiert.“ Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hat bei Stichproben in den vergangenen Jahren immer wieder schädliche Chemikalien in Kleidungsstücken nachgewiesen. So wurden 2013 in Kinderschuhen, Sportkleidung und Edeltextilien bekannter Hersteller Weichmacher und andere hormonell wirksame Substanzen gefunden. Die Industrie sei dabei zu handeln, hatte der Geschäftsführer des Bundesverbandes des Deutschen Textileinzelhandels, Jürgen Dax, dazu im vergangenen Jahr erklärt. Greenpeace hat 2011 die Kampagne „Detox“ initiiert, bei der Modemarken aufgefordert werden, Schadstoffe durch ungefährliche Substanzen zu ersetzen. Bisher hätten sich 18 Hersteller dazu verpflichtet, auf den Einsatz gefährlicher Chemikalien zu verzichten – allerdings erst bis 2020.

Bis zu ein Kilogramm Substanzen je Kilogramm Textilien werde bei der Textilveredlung eingesetzt, sagt Zietlow. Fast 90 Prozent der bei Vorbehandlungen wie Bleiche sowie beim Färben eingesetzten Chemikalien landeten im Abwasser. „Viele davon sind allerdings biologisch schwer abbaubar“, sagt Zietlow. Ein Problem sei das vor allem in Produktionsländern wie Indien. „Die Einträge können extrem sein, allein schon, weil in manchen Gegenden Hunderte Textilfirmen stehen“, erklärt die UBA-Expertin. „Mancher Fluss hat da zu jeder Tageszeit eine andere Farbe, und das selbst in Regionen, in denen die Kontrolle schon ganz gut ist.“

PFC könnte das Dioxin der Zukunft sein

Zwei Substanzgruppen gelten als besonders bedenklich, sagt Ralph Pirow vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR): Nonylphenolethoxylate (NPEO) und bestimmte Vertreter der Perfluorierten Verbindungen (PFC). NPEO wirken auf den Hormonhaushalt, in der EU sind sie für die industrielle Verwendung nicht zugelassen. In Ländern wie China werden sie jedoch bei der Herstellung von Textilien eingesetzt. „Etwa als Färbehilfsmittel oder für industrielle Waschprozesse“, sagt Pirow. „Importware ist da in keinster Weise reguliert.“ PFC werden für Heimtextilien wie abwischbare Couchbezüge und Teppiche, aber auch bei der Herstellung wasserabweisender und atmungsaktiver Jacken und fleckenfrei bleibender Jeans verwendet. „Es gibt Fachleute, die Perfluorierte Verbindungen als die Dioxine der Zukunft ansehen“, sagt Schulte. „Sie sind reproduktionsschädigend und zunehmend in Blut und Muttermilch nachweisbar.“

Vor allem die potenziellen Auswirkungen schädlicher Chemikalien auf Kinder machen Experten Sorgen. Man müsse sie vor der „lautlosen Epidemie“ von Hirnentwicklungsstörungen bewahren, mahnten führende Wissenschaftler kürzlich in der Fachzeitschrift „Lancet Neurology“. Etliche Stoffe könnten das Gehirn schädigen, seien aber nicht reguliert, schrieben Philippe Grandjean von der Universität Süddänemarks in Odense und Philip Landrigan vom Mount Sinai Medical Center in New York. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wirkten mehr Stoffe wie Nervengifte als bisher bekannt: Die überwältigende Mehrheit der Zehntausenden Industriechemikalien sei nie auf giftige Effekte auf Fötus und Kind geprüft worden. „Die derzeitigen Verordnungen zu Chemikalien sind kläglich unangemessen, um Kinder zu schützen, deren sich entwickelnde Gehirne besonders verletzlich auf giftige Umweltchemikalien reagieren“, wird Grandjean in einer Mitteilung zur Studie zitiert.

Kleidung gelte als Bedarfsgegenstand, für die es lediglich das gesetzliche Gebot gebe, dass ihre Herstellung und Behandlung nicht der Gesundheit schaden dürften, heißt es beim BfR. Die Überwachung liege in der Verantwortung der Bundesländer. „Da für diese Bedarfsgegenstände vom Gesetzgeber weder eine Zulassungs- noch eine Anmeldepflicht vorgesehen ist, fehlen den Behörden jedoch umfassende Kenntnisse über diese Produkte.“ Zudem seien die Kontrollstellen meist völlig unterbesetzt, ergänzt Schulte. Nur für einige der eingesetzten Substanzen wie zum Beispiel bestimmte Flammschutzmittel und Krebs erregende Azofarbstoffe gibt es Verbote. Für andere wie das Krebs erregende Formaldehyd und das Stoffwechsel- und Kreislaufstörungen verursachende Pentachlorphenol wurden zumindest Grenzwerte für eine Kennzeichnungspflicht beziehungsweise einen Maximalgehalt festgelegt. Prinzipiell aber existierten detaillierte gesetzliche Regelungen nur „punktuell“ für einige als gesundheitsschädlich angesehene Substanzen, heißt es beim BfR.

Nicht jeder Spaziergänger braucht eine Hightech-Jacke

Immer noch kommerziell erhältlich sind zum Beispiel 150 auf Krebs erregenden Aminen basierende Azofarbstoffe, wie Pirow sagt. Zwar gebe es Grenzwerte, auf der sogenannten RAPEX-Warnliste tauchten aber häufig entsprechende Produkte auf. RAPEX (Rapid Exchange of Information System) ist ein Warnsystem der EU, bei dem Meldungen zu gesundheits- und sicherheitsgefährdenden Produkten aufgelistet werden. „Die meisten Meldungen gibt es für Spielzeug, gleich danach kommt schon die Produktkategorie ‚Bekleidung, Textilien und Modeartikel‘“, sagt Pirow.

Eine weitere Möglichkeit, sich zu informieren, bietet ein Internetangebot zur EU-Chemikalienverordnung REACH. Unter www.reach-info.de/verbraucheranfrage können Auskünfte eingeholt werden, ob in einem Produkt Besorgnis erregende Substanzen enthalten sind. Eine Smartphone-taugliche Variante sei geplant, sagt Schulte.

Für die Hersteller gebe es etliche Möglichkeiten, umstrittene Chemikalien zu vermeiden oder zumindest ihre Freisetzung in die Umwelt zu verhindern, betont Zietlow. Dabei böten sich sogar Einsparpotenziale – etwa bei der Rückgewinnung eingesetzter Substanzen oder dem Umstieg auf Prozesse mit geringerem Wasser- und Chemikalienbedarf. „Allein die Nutzung automatischer Dosiersysteme kann die Kosten um bis zu 30 Prozent senken.“

Greenpeace rät, auf Siegel etwa vom Internationalen Verband der Naturtextilwirtschaft IVN zu achten. Auch bei Outdoor-Kleidung sei es möglich, eine Schadstoffbelastung zu vermeiden. Dazu zählten Jacken mit PFC-freien Imprägnierungen. „Vor dem Kauf sollten Verbraucher prüfen, ob sie eine Jacke für den Gipfelsturm oder den Spaziergang benötigen. Die schadstofffreien Jacken genügen fast immer“, sagt Manfred Santen von Greenpeace.

Zahlen zur Textilindustrie

Produktion
Weltweit werden jährlich etwa 80 Millionen Tonnen Textilfasern produziert. Der Großteil der gehandelten Textilien stammt aus Asien. In Deutschland ist die Textil- und Bekleidungsindustrie die zweitgrößte Konsumgüterbranche. Wachstumstreiber sind derzeit vor allem technische Textilien für Hightechprodukte.

Konsum
Laut Statistischem Bundesamt geben die privaten Haushalte jährlich rund 70 Milliarden Euro für Kleidung und Schuhe aus. Jeder Deutsche kauft Greenpeace zufolge im Schnitt fünf neue Teile pro Monat. Getragen wird oft nur ein Bruchteil dessen – laut Umfragen sind bis zu 40 Prozent der Kleidungsstücke Schrankhüter.

Chemikalien
Etwa 6000 Zubereitungen von Hilfs- und Ausrüstungsmitteln werden im Textilhilfsmittelkatalog angeboten. Nach Angaben der Unternehmen stecken in diesen Zubereitungen rund 500 Inhaltsstoffe. Dabei sind die Farbstoffe noch gar nicht mitgerechnet – die wichtigste Gruppe der bei Textilien verwendeten Substanzen.