Am 22. Juli wurde das „Boulderblöckle“ unter der Paulinenbrücke eröffnet. Die Planungen dauerten mehr als ein Jahr. Läuft’s blöd, ist die Kletterwand schon Ende September wieder weg.

Stuttgart - Klettern Sie noch oder bouldern Sie schon? In der Umgangssprache wird da meist nicht differenziert. Dabei macht es durchaus einen Unterschied, ob man bouldert oder klettert. Boulderin Aline Otte klärt auf: „Klettern bedeutet eigentlich: Seilklettern mit Sicherung in einer Höhe von mindestens sechs bis acht Metern. Beim Bouldern hingegen stürzt man. Man klettert also ohne Seilsicherung in Sturzhöhe.“ Wer auch mal stürzen will, kann das neuerdings direkt in der Stadtmitte: Unter der Paulinenbrücke steht das Boulderblöckle von 9 bis 22 Uhr für Alt und Jung bereit.

 

Otte bouldert seit 8 Jahren. Sie ist Mitglied des Vereins Stadtlücken, der unter anderem dem ehemaligen Parkplatz unter der Paulinenbrücke neues Leben einhaucht. Darüber hinaus ist sie Architektin, die sich auf Kletteranlagen spezialisiert hat und in diesem Bereich promoviert. Sie hat das Projekt Boulderblöckle initiiert: „Wir wollten in Stuttgart einen zentralen Platz an der frischen Luft schaffen, sodass man zum Bouldern nicht immer in die stickige, heiße Halle muss.“

35 Grad im Schatten

Kletterwände auf Spielplätzen und Schulhöfen gebe es zwar einige. Aber für ambitionierte Kletterer, Pardon, Boulderer sind derlei Wände freilich zu klein. Erwachsene Sportler wolle man anziehen und damit auch alle anderen Menschen in der Stadt animieren, sich zu bewegen. Bouldern ist schließlich ein ernsthafter Sport, der nächstes Jahr olympisch wird. Deshalb hat die Wand unter der Paulinenbrücke auch einen 35-Grad-Überhang: „35 Grad im Schatten sozusagen“, sagt Otte: „Das ist eine ernst zu nehmende Trainingswand. Es gibt leichte Routen, auf denen Kinder und Laien klettern können. Die freuen sich dann, wenn sie es nach oben schaffen. Gleichzeitig können hier aber auch Spitzensportler trainieren.“

40 freiwillige Helferinnen und Helfer haben die Anlage aufgebaut. 335 Griffe wurden angeschraubt, auf der Rückseite der Wand befindet sich eine 16 Quadratmeter umfassende Grünfläche. Otte ruft zum Mitmachen auf: „Hier hätte ich auch gerne noch Urban-Gardening-Kästen angebracht – vielleicht interessiert sich ja jemand für eine Fläche ohne Regen, auf die nur die Abendsonne scheint!“

Klettern, wo andere ausnüchtern

Generell hat die Initiatorin eben nicht nur ans Klettern, sondern an die gesamte Stadt gedacht: „Wir wollten kein isoliertes Sportgerät haben, das sonst nicht genutzt wird.“ Daher umgibt eine Sitzbank das Boulderblöckle, die wie die Wand selbst gut angenommen wird. Ist ja auch viel schöner, wenn man nicht nur sein Bier schlürfen, sondern gleichzeitig anderen beim Klettern zuschauen kann. Ein Passant, der hier hin und wieder kraxelt, befindet: „Manchmal ist’s vielleicht ein bisschen merkwürdig, wenn man klettert und nebenan einer auf der Bank ausnüchtert. Aber es ist toll, dass man mit anderen ins Gespräch kommt und unser Sport sichtbar wird.“

Bis so eine Wand in der Stadt steht, braucht es viel Geduld. Vor mehr als einem Jahr, Anfang Juli 2018, hatte Otte die Idee bei Stadtlücken eingereicht. Das Kiesbett, in das man fällt, umgibt ein kleiner Zaun. Eher ein Zäunle. Der war ursprünglich nicht geplant. Aber um die Sicherheitsbestimmungen der Spielplatznorm zu erfüllen, braucht’s halt einen Zaun. Der war noch das kleinste Problem.

Zwischenzeitlich sah es gar nicht gut aus fürs Boulderblöckle. Aus Versicherungsgründen, so die Stadt, müsse man 24 Stunden am Tag ein Auge auf die Anlage haben. Das kann ein Verein wie Stadtlücken freilich nicht leisten. Doch Otte wollte das Projekt nicht aufgeben und betreute die Kletterwand in ihrer Freizeit. Gut einen Monat lang. Letzten Endes hat der Verein die Versicherung einfach selbst übernommen. Stadtlücken finanziert sich über Spenden.

Ein Geschenk an die Stadt

Ob die Wand nach all dem Stress überhaupt noch lange bleiben darf, steht in den Sternen. Bereits im September läuft der Mietvertrag mit Stadtlücken für den Platz unter der Paulinenbrücke aus. Ob die Stadt eine Verlängerung erteilt, ist unklar. Otte jedoch hat eine Vision. Sie träumt von einer ganzen Boulder-Landschaft unter der Paulinenbrücke und sieht hier optimale Bedingungen: „Wo hat man sonst einen Ort, der schattig, kühl und regengeschützt ist?“

Dafür müsse die Stadt dem eigens gegründeten Verein Boulderblöckle e. V. allerdings die Fläche überlassen. Man wolle aber auch nicht im Weg stehen, sofern die Stadt eine andere, größere Vision für diesen Ort habe. Ruft man sich jedoch in Erinnerung, wie es dort aussah, bevor sich Stadtlücken um diese Ecke gekümmert hat – ach, na ja, vielleicht ist’s besser, wenn man den Platz engagierten Menschen wie Aline Otte überlässt. Die sagt: „Es ist ja auch ein Geschenk an die Stadt Stuttgart. So eine Boulder-Wand kriegt man schließlich auch nicht alle Tage geschenkt.“

So rum kann man’s durchaus auch mal sehen.