Angesichts der dürftigen Ergebnisse des UN-Gipfels in New York fühlen sich die Befürworter eines pragmatischen Ansatzes bestätigt: Sie setzen unter anderem auf die weltweite Vernetzung von gesellschaftlichen Initiativen.

Stuttgart - Die Versammlung der Vereinten Nationen in New York hat wenig greifbare Ergebnisse gebracht. Ein Nachfolgevertrag für das Kyoto-Protokoll liegt in weiter Ferne, und auch die Selbstverpflichtungen einzelner Staaten bleiben hinter den Erwartungen zurück. Währenddessen nehmen die Treibhausgase weiter zu: 2013 stieg der weltweite Kohlendioxid-Ausstoß sogar auf ein Rekordhoch.

 

Klimaschützer beklagen den Mangel an politischen Fortschritten. Es gibt aber eine wachsende Zahl von Initiativen, die den Ausstoß an Treibhausgasen auf pragmatische Weise senken könnten – ganz ohne einen globalen Vertrag.

Pragmatische Ansätze finden viele Anhänger

Was die Klimapolitik so vertrackt macht, haben neulich David Victor, Experte für Umweltpolitik an der University of California in San Diego, und zwei weitere Autoren des UN-Klimarats im Magazin „Science“ erläutert: Je mehr Länder mitwirken sollen, den Ausstoß an Treibhausgasen zu senken, desto unwahrscheinlicher werde es, dass ein einzelnes Programm mit bindenden Zielen und Zeitplänen funktioniere. Man müsse flexibler werden. „Klimapragmatiker“ wie Victor kämpfen nicht für eine globale Deckelung des Treibhausgasausstoßes. Sie empfehlen vielmehr, die Entwicklung von kohlenstoffarmen Energiequellen und von Techniken effizienter Energienutzung zu fördern – bis sie sich von selbst auf dem Markt durchsetzen. Ähnliche Programme werden in letzter Zeit immer öfter propagiert.

Das „Breakthrough Institute“ vertritt diesen Klimapragmatismus besonders konsequent. Die kalifornische Denkfabrik gab im April zusammen mit der Arizona State University eine Stellungnahme heraus. Darin versuchen 13 Umwelt- und Energieexperten die Klimapolitik mit dem globalen Wirtschaftswachstum zu versöhnen. „Our High-Energy Planet“ – „Unser Hochenergie-Planet“ – lautet der Titel des Dokuments. Die Pointe dieser Strategie: man soll die Entwicklungskurve, die alle industrialisierten Länder durchgemacht haben, begleiten und nutzen, anstatt sie zu bekämpfen. Erst der rasante Ausbau der Energiesysteme habe den Wohlstand ermöglicht, in dem Umweltschutz wichtig wurde und der Ausstoß an Treibhausgasen wieder zu sinken begann. Realistisch betrachtet machen die großen Schwellenländer der Erde in der Tat kaum Anstalten, von der vorgezeichneten Entwicklungskurve abzuweichen. Ein verpflichtendes Limit für die Emissionen lehnt Indien ebenso ab wie Brasilien und China.

Zunächst müssen alle Zugang zu den Ressourcen haben

Die Breakthrough-Experten argumentieren so: wer eine gerechte, prosperierende und ökologisch nachhaltig ausgerichtete Gesellschaft wolle, der müsse zunächst einen gleichberechtigten Zugang zu Energie ermöglichen. Noch habe mehr als eine Milliarde Menschen keinen Zugang zu Elektrizität. Die Entwicklungs- und Schwellenländer verstädtern so rasch, dass ihre Energiesysteme stark ausgebaut werden müssten. Auch andere Entwicklungsrückstände seien aufzuholen: Fast drei Milliarden Menschen kochen noch über offenem Feuer mit Holz, Kohle oder getrocknetem Dung. Atemwegserkrankungen, die auf Luftverschmutzung in Innenräumen zurückzuführen sei, kosten jährlich zwei Millionen Menschen das Leben.

Laut dem Breakthrough-Papier gibt es für die Energieversorgung in Ländern wie Indien keine Musterlösung. Auch die deutsche Energiewende gilt in der kalifornischen Denkfabrik keineswegs als Blaupause für die Entwicklung in anderen Ländern; das Konzept, das auf die Förderung erneuerbarer Energiequellen hinausläuft, sieht man dort skeptisch. Die Autoren empfehlen stattdessen technologischen Pluralismus: Man müsse bei allen Energiequellen Fortschritte erzielen, die zurzeit genutzt werden – also bei den herkömmlichen ebenso wie bei den erneuerbaren.

Fallstudien, die mehrfachen Nutzen versprechen

Nach pragmatischen Lösungen hat jüngst auch die Weltbank gesucht. In ihrer Studie „Climate-Smart Development“ stellen Fachleute anhand von Fallstudien Maßnahmen vor, die gleich in mehrfacher Hinsicht einen Nutzen versprechen – sowohl für das Klima als auch für die wirtschaftliche Entwicklung und die Gesundheit der Menschen. Ein Beispiel sei der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel: Er spare Treibstoff und Zeit, die Produktivität der Wirtschaft steige, und der Smog gehe zurück, was der Lebensqualität und dem Tourismus nütze. Durch Maßnahmen solcher Machart könnten bis zum Jahr 2030 fast 100 000 vorzeitige Todesfälle vermieden und die Treibgase um ein Drittel dessen reduziert werden, was nötig wäre, um die Zwei-Grad-Grenze einzuhalten.

Kritik am „Wunschdenken“ der Pragmatiker

Bei manchen Umweltschützern rufen klimapragmatische Strategien Widerstand hervor. Kritisch äußerte sich zum Beispiel der australische Ethikprofessor Clive Hamilton in einem Kommentar in dem US-Magazin „Scientific American“: Er hielt den Pragmatikern wie dem Breakthrough Institute vor, die Gefahren der globalen Erwärmung zu unterschätzen und das Potenzial neuer Techniken zu überschätzen. Ihren Optimismus betrachtet Hamilton als gefährliches Wunschdenken. Die Ernüchterung in der Klimapolitik ist aber so groß, dass an pragmatischen Ansätzen kaum ein Weg vorbeizuführen scheint.

Auch der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) scheint sich langsam für solche Ideen zu öffnen. In seinem neuen Sondergutachten „Klimaschutz als Weltbürgerbewegung“ hält er zwar an dem Ziel eines globalen Abkommens fest, die Autoren plädieren aber für eine „verschränkte Verantwortungsarchitektur“. Damit meinen sie, dass die globalen Verhandlungen über Ziele jenseits der bisher angestrebten zwei Grad hinaus und die Initiativen aus der Gesellschaft sich ergänzen sollen. Als positives Beispiel hebt der WBGU die „Renewables-Grid-Initiative“ hervor. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss von Umweltverbänden mit Netzbetreibern, der intelligente grenzüberschreitende Stromnetze ausbauen will.

Weltweit vernetzen sich die Städte

Auch Städteclubs können, so der WBGU, zum Klimaschutz beitragen, etwa die „C40 Cities“: Dieser 2005 gegründete, globale Städtebund hat sich zum Ziel gesetzt, den Treibhausgasausstoß auf lokaler Ebene zu verringern. Dazu werden Best-Practice-Konzepte ausgetauscht und Preise verliehen. Typische Beispiele für Projekte von C40-Städten: in Oslo müssen bis 2015 alle städtischen Fahrzeuge elektrisch betrieben sein, wofür den Behörden zinslose Darlehen gewährt werden; in Wien sollen auf 240 Hektar Land in 8500 Hightechgebäuden klimaschonende Smart-City-Technologien getestet werden. Inzwischen sind 69 Städte bei C40 mit dabei, darunter Megastädte wie Tokio, New York, Lagos und Mumbai, aber auch kleinere Städte wie die einzigen beiden deutschen Teilnehmer Heidelberg und Berlin.

Den Nachteil solcher Städteclubs sieht der WBGU darin, dass die Wirkung der Maßnahmen kaum überprüft wird und die Anbindung an die globale Klimapolitik fehlt. Doch wie die Dinge nach dem New-York-Treffen stehen, wird Klimaschützern wohl nichts anderes übrig bleiben, als zunehmend auf pragmatische Initiativen von unten zu setzen. Denn anders scheint es kaum möglich zu sein, den Anstieg der Treibhausgaskonzentrationen nach und nach in den Griff zu bekommen.