Eine Krankenschwester arbeitet auf der Corona-Station – nicht nur sie kämpft mit Ausgrenzung.

Böblingen - Gerne werden sie als Helden bezeichnet. Diejenigen, die ganz vorne an der Front stehen: Krankenschwestern, Pfleger und Pflegerinnen. Sylvia B. (Name von der Redaktion geändert) ist bereits seit 39 Jahren Krankenschwester. Sie arbeitet auf der Corona-Station im Klinikum Böblingen. In der vergangenen Woche freut sie sich – wie so viele – auf ihren ersten Friseurtermin seit Langem. Im Laden füllt sie pflichtbewusst das Pandemie-Kontaktformular aus. Doch bei der Frage, ob sie Kontakt zu Corona-Infizierten hatte, hält sie inne. Was soll sie auf diese Frage antworten? Sie berät sich mit der Friseurin, die beschließt ihre Chefin anzurufen. Dann ist das Entsetzen groß: Mit nassen Haaren und einer Schale mit angerührter Farbe in den Händen wird sie vor die Tür gesetzt. Doch nicht ohne vorher 18 Euro zu bezahlen. „So etwas ist mir in 40 Jahren Arbeit als Krankenschwester noch nie passiert“, erzählt Sylvia B., der der Vorfall sichtlich nachgeht.

 

Unsicherheit durch Unwissenheit

„Wir stellen fest: Es gibt extrem viel Unwissenheit und daraus resultierende Unsicherheit“, erklärt Gerald Tomenendal, Regionaldirektor des Klinikum Sindelfingen-Böblingen. „Grundsätzlich sind die Fragen in diesem Formular richtig gewesen. Die Art und Weise jedoch war falsch“, fügt er hinzu. Denn eine wichtige Nachfrage wäre gewesen: Hatte Sylvia B. ungeschützten Kontakt zu einem Corona-Patienten und wenn ja, wann? „Ich bin ja nie ohne Schutzausrüstung bei den Patienten“, klärt Sylvia B. auf.

Doch Sylvia B. scheint kein Einzelfall zu sein. Geschichten über Anfeindungen kursieren unter dem Krankenhauspersonal: Am Briefkasten einer Mitarbeiterin, die in einem Mehrfamilienhaus lebt, hängt eine Notiz: Sie solle doch bitte nicht mehr den Aufzug benutzen und das Treppengeländer nicht mehr berühren.

Am Eingang wird Temperatur gemessen

„Uns geht es auch darum, der Bevölkerung zu vermitteln, welche hohen Sicherheitsstandards in einer Klinik gelten“, erklärt Ingo Matheus, Pressesprecher des Klinikverbundes Südwest. Denn einiges hat sich seit dem Ausbruch der Pandemie in der Klinik geändert: Nach einem anfänglichen Besuchsverbot ist nun ein Besucher pro Tag pro Patient erlaubt und es besteht Maskenpflicht. Bereits am Eingang prüfen Sicherheitsbeauftragte, ob Menschen erhöhte Temperatur haben. „Schon Anfang März haben wir uns mit der Frage beschäftigt, wie wir zwischen potenziell infizierten Patienten und dem Rest unterscheiden können“, sagt Ingo Matheus.

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Wer Husten und Temperatur hat, landet direkt in der Fieberambulanz der Klinik. Diejenigen, die stationär behandelt werden, werden auf das Coronavirus getestet. „Dann kommen sie in die sogenannte Decision-Unit“, erklärt Gerald Tomenendal. Dort bleiben sie bis das Ergebnis des Corona-Tests vorliegt. Wer jedoch nicht stationär behandelt werden muss, wird nicht in der Klinik getestet, sondern muss sich über eines der Test-Zentren im Kreis Gewissheit schaffen. Wer positiv getestet wird, landet auf der Corona-Station. „Wir hatten es in unserem Arbeitsalltag ja schon immer mit infektiösen Krankheiten zu tun“, sagt Kirsten Kurth, Hygienefachkraft am Klinikum, über den Umgang mit der neuartigen Krankheit. Seit Corona ausgebrochen ist, hat sie rund 70 Schulungen für 758 zusätzliche Mitarbeiter gegeben. „Diese Dinge müssen ständig präsent sein, und sie müssen vor allem geübt werden.“

Station ist quasi abgeriegelt

Sie führt auf dem Weg zur Corona-Station und zeigt einen Krankenhausgang hinunter. „Hier gibt es Wände, die es vorher nicht gab“, sagt Kirsten Kurth und deutet auf weiße Wände mitten im Gang, zwischen denen eine Desinfektionsstation mit Handschuhen und Ausrüstung eingerichtet wurde. „Im Worstcase können wir den Bereich also komplett abriegeln“, erklärt sie. Zu Hochzeiten waren knapp 20 Patienten auf der Corona-Station in Böblingen. Im gesamten Klinikverbund waren es Anfang April 103 Personen.

Das Pflegepersonal, das die Corona-Station betritt, ist kaum mehr kenntlich: Die Mitarbeiter tragen einen wasserabweisenden Schutzkittel, eine Haarhaube, Plastikhandschuhe, einen Mund-Nasen-Schutz und ein Visier. „Wir hatten immer Glück mit unserer Ausrüstung, unser Einkauf hat quasi Unmögliches geleistet“, erzählt Petra Horrer, die Pflegegruppenleiterin. Mittlerweile sei die Situation jedoch um einiges entspannter, im Lager befänden sich rund 1,9 Millionen Masken.

Maximaler Schutz für Patienten und Personal

„Niemand muss als Patient in unserer Klinik Angst haben“, sagt Petra Horrer. Es herrsche der maximale Schutz für Personal und Patienten. „Ich habe noch nie so viel geputzt“, scherzt Sylvia B. „Ich fühle mich in der Klinik besser geschützt als im Supermarkt“, sagt sie über die Sicherheitsstandards. „Und keiner von uns ist krank geworden“, fügt sie hinzu.

„Ich bin richtiger Fan von unserem Team“, schwärmt auch Kirsten Kurth. Niemand wurde gezwungen, auf der Corona-Station zu arbeiten. Doch von denjenigen, die bereits Erfahrung in diesem Bereich hatten, waren alle gewillt, ihre Dienste dort zu leisten.

„Unsere Strukturen sind mittlerweile komplett auf Corona ausgerichtet“, versucht Pressesprecher Ingo Matheus die Angst vor einer Ansteckung im Krankenhaus zu nehmen. Dass manche Menschen in Panik verfielen, sei keine Schande, doch geschultes Pflegepersonal auszugrenzen, die in erprobten Strukturen arbeiten, sei nicht der richtige Weg.

Pflegenotstand statt Abwrackprämie

Der Pflegedirektorin Elvira Schneider ist vor allem wichtig, dass inmitten der gesellschaftlichen Umwälzungen die Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals im Fokus der Diskussion bleiben: „Die Gespräche drehen sich mittlerweile schon wieder um die Abwrackprämie und weniger um den bundesweiten Pflegenotstand“, mahnt sie an. Das Pflegepersonal müsse nicht als Held gefeiert werden. Wenn die Arbeitsbedingungen – und damit sei die Bezahlung gemeint – stimmen würden, würde das ausreichen. „Und das ist nicht Aufgabe der einzelnen Krankenhäuser, sondern das ist Aufgabe der Bundesregierung“, schließt die Pflegedirektorin. Auf diese Aussage klatschen Petra Horrer, Sylvia B. und Kirsten Kurth zustimmend.