Die Vorbehalte gegen eine Große Koalition bei der SPD sind riesig. Aber auch wenn die Skepsis laut und vielstimmig geäußert wird – die Spitzengenossen achten darauf, die Tür zu Schwarz-Rot nicht ganz zuzuschlagen. Der künftige Kurs ist noch unklar.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Zwei Tage nach dem Wahlsonntag ist die SPD endgültig in den Schwierigkeiten des neuen Berliner Alltags angekommen. „Weitermachen“ – die 30 Jahre alte Devise des SPD-Urvaters Herbert Wehner – hat Ex-Spitzenkandidat Peer Steinbrück als Devise für die nächsten Monate ausgegeben. Gestern bei der Sitzung der neuen und der alten Bundestagsfraktion war mit Händen zu greifen, dass den Genossen schwant, welche Probleme sie beim Weitermachen werden überwinden müssen – ganz egal, welche Richtung sie einschlagen.

 

Das ist auch der Grund, warum der Parteichef Sigmar Gabriel und alle Spitzengenossen jede Festlegung – für die Regierungs- oder die Oppositionsrolle – vermeiden. Klar scheint nur, was die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles noch einmal bekräftigte: „Rot-Rot-Grün wird es in dieser Legislaturperiode nicht geben.“

Kein namhafter SPD-Politiker ist für die Große Koalition

Die Große Koalition hat in der SPD derzeit keine Fans. Es gibt keinen einzigen namhaften SPD-Politiker, der sich dafür ausspricht. Dagegen schwillt der Chor der Stimmen an, der „keine Neigung“ oder „kein Interesse“ an Schwarz-Rot bekundet. Das stellen die unterschiedlichsten Sozialdemokraten heraus: Die Düsseldorfer Ministerpräsidentin Hannelore Kraft zählt dazu, die die Zustimmung zur Großen Koalition in ihrem Landesverband derzeit nahe null ansiedelt. Der Berliner Landeschef Jan Stöß, der Kieler Landeschef Ralf Stegner und der Sprecher des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, sagen ganz Ähnliches.

Allerdings kleiden all diese Akteure ihre Vorbehalte gegen Schwarz-Rot nicht in ein klares Nein – anders als der SPD-Sozialexperte Rudolf Dreßler, der der Parteiführung unverblümt empfiehlt, diese Tür „sehr schnell zuzuschlagen“, weil die SPD in einem solchen Bündnis nur verlieren könne. Mit seiner Forderung steht Dreßler allerdings allein in der SPD.

Der linke Flügel will über Alternativen nachdenken

Auch Hilde Mattheis, Sprecherin des linken Flügels, kritisierte die Große Koalition gestern, mahnte aber vor allem, jetzt über Alternativen nachzudenken. Sie verwies auf Schwarz-Grün, Neuwahlen oder die Tolerierung einer Minderheitsregierung der Kanzlerin. Das sei „eine der Konstellationen, die ich mir vorstellen kann“, sagte Mattheis. In diesem Fall könne die SPD mit der Union bei bestimmten Themen zusammenarbeiten, etwa in der Europapolitik, bei Steuern oder Arbeit und Sozialem. Außerdem gab sie sich optimistisch, dass es vor allem der Kanzlerin, nicht aber der SPD angelastet würde, wenn die Regierungsbildung scheitert und Deutschland neu wählen müsste.

Diese Position ist allerdings eine Minderheitenmeinung in der SPD. Die große Mehrheit fürchtet, dass die Sozialdemokraten bei Neuwahlen noch schlechter abschneiden, Merkel zulegen und die FDP wieder ins Parlament kommen würde. Einer meint, das wäre „glatter Selbstmord“.

Die Idee der Mitgliederbefragung hat immer mehr Anhänger

Bei all der Unsicherheit über den künftigen Kurs schält sich eines heraus: die Idee, die Koalitionsfrage durch eine Mitgliederbefragung zu entscheiden, gewinnt immer mehr Anhänger. Der Heidelberger Abgeordnete Lothar Binding ist überzeugt, dass die SPD sich zwischen einer Großen Koalition und der Duldung einer Regierung Merkel entscheiden kann. „Wir brauchen auf jeden Fall einen längeren Prozess, um die Skepsis zu überwinden, wenn es zu einer Großen Koalition kommt“, betont Binding.

Einen ersten Schritt zur Funktionsfähigkeit in der neuen Legislaturperiode hat die SPD-Fraktion am Dienstag gemacht. Sie entschied, dass der alte Fraktionschef auch der neue ist: Frank-Walter Steinmeier wurde mit 91 Prozent der Stimmen bestätigt.